CD-Cover "Echoes of Becoming" von Canberk Ulaş © Jazzland Records
CD-Cover "Echoes of Becoming" von Canberk Ulaş © Jazzland Records
CD-Cover "Echoes of Becoming" von Canberk Ulaş © Jazzland Records
AUDIO: Play Jazz! - Magazin am Freitag (65 Min)

Soundtrack einer Entwurzelung

Stand: 15.03.2024 10:35 Uhr

Auf seinem Debüt will Canberk Ulaş dem uralten armenischen Nationalinstrument Duduk neue Rollen zudenken, will die armenische Kultur mit Loops und Soundscapes in ein neues Zeitalter tragen.

von Ralf Dorschel

Es ist ein melancholisches Hadern, ein Barmen mit der Welt und ihren Überwältigungen: Wenig globales Instrumentarium klingt so verloren, singt so von Einsamkeit wie die Duduk, das uralte armenische Nationalinstrument. Canberk Ulaş ist Türke mit Wahlheimat Schweden und betont, wie wichtig ihm diese Tradition sei, wieviel es hier zu bewahren gilt. Doch zugleich will er sie mit elektronischem Zauberkasten zeitgenössisch interpretieren, will experimentieren, will improvisieren. Vorbild sind die Turbulenzen des kulturellen Schmelztiegels Istanbuls.

Das Ergebnis ist dann aber weit weniger turbulent - ist leise und sehr konzentriert: Ulaş ist beim norwegischen Label Jazzland untergekommen, lässt sich bei "Echoes of Becoming" helfen von Veteranen der norwegischen Jazz-Szene, von Bugge Wesseltoft und Eivind Aarset, von Arve Henriksen und Jan Bang. Helfen allerdings in engen Grenzen: Diese "Echos des Werdens" sind in allererster Linie ein Solo-Album, die Gäste treten nacheinander auf, Henriksens Trompete weht durch die Echo-Kammer von "Ritual", Aarsets Gitarreneffekte erweitern die Soundscapes von "Kristiansand", Wesseltofts Flügel begleitet Ulaş' Duduk auf dem hinreißenden und rein akustisch inszenierten "Greetings to Istanbul".

Canberk Ulaş ist Komponist und Interpret, aber auch Produzent und Arrangeur des Albums

Und nirgends werden die Stimmen erhoben, niemand akzentuiert den Klangfluss. Keine Beats unterbrechen dieses verhangene Lamento bei dem die Sängerin Deniz Ulkat sich Texte der US-Psychoanalytikerin Clarissa Pinkola Estés vornimmt, der irische Autor und Klangtüftler Kieron Concannon Rilke rezitiert und die junge Norwegerin Benedikte Kløw Askedalen Ulaş' eigenen Text "I Came From Far Away" auf Englisch und Türkisch interpretiert. Ulaş hat alle Stücke geschrieben, arrangiert und produziert, spielt neben der Duduk auch Keyboards, Elektronik und Afrikas Marimba-Variante Sansula.

CD-Cover "Echoes of Becoming" von Canberk Ulaş © Jazzland Records
CD-Cover "Echoes of Becoming" von Canberk Ulaş

Wer Vorbilder für diese globale Suche nach Wurzeln und Verwurzelung braucht, findet diese in den Arbeiten von Jon Hassell, mehr noch aber bei Ulaş' Label-Partnern und Gästen Arve Henriksen und Jan Bang. Norwegens stets innovative Jazz-Szene erforscht seit Jahren in musikalischer Zeitlupe Klangräume zwischen Ambient, Weltmusik und nordischem Jazz. Canberk Ulaş' bitterschöner Soundtrack einer Entwurzelung ist eine neue und faszinierende Facette in diesen Klangtüfteleien, entzieht sich flüchtigem Hören ebenso wie allzu leichtfertigem Kategorisieren.

 

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"Echoes of Becoming"

Genre:
Jazz
Label:
Jazzland Records
Veröffentlichungsdatum:
23.02.2024
Preis:
19,99 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur – Jazz | 18.03.2024 | 22:33 Uhr

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