Johanna Summer erzählt klassische Klavierwerke weiter
Johanna Summer hat ihre Wurzeln in der Klassik. Als Kind und Jugendliche spielte sie ausschließlich diese Musik. Die intensive Auseinandersetzung mit Jazz und freier Improvisation kam erst später.
Ihr vielbeachtetes Debüt "Schumann Kaleidoskop" widmete Johanna Summer nur einem Komponisten. Bei dem zweiten Album "Resonanzen", das gerade erschienen ist, sind es neun: Bach, Beethoven, Schubert, Tschaikowski, Grieg, Ravel, Skrjabin, Mompou und Ligeti. Auf Grundlage von deren Originalkompositionen lässt die junge Künstlerin am Klavier neue Tonwelten entstehen und versucht, durch ihre freien Improvisationen die Werke weiterzuerzählen. Ein spannendes Experiment, das sie auch bei uns im Studio wagt.
Johanna, die meisten zugrunde liegenden Werke werden erkennbar zitiert, also sie sollen schon auch erkennbar sein - ist das so?
Johanna Summer: Ja, manchmal mehr, manchmal weniger. Es gibt durchaus Stücke, wo wirklich nur Ansätze da sind und wo ich mich vielleicht eher auf eine gewisse Spielhaltung beziehe, die dem Originalstück zugrunde liegt, oder eine Stimmung oder irgendein Detail. Das muss gar nicht immer in ein komplettes Zitat ausufern, aber manchmal bietet sich das an und dann bin ich in diesem Modus drin. Dann spiele ich auch gerne mal ein paar Takte, so wie sie im Original vielleicht sind. Aber das sind selten Eins-zu-eins-Zitate, da ich vielleicht in einer anderen Tonart oder einer anderen Taktart bin, und dann versuche ich natürlich das dem anzupassen. Es geht ja nicht darum, zu zeigen: "Hey, guck mal, ich kann jetzt auch hier vier Takte aus dem Ravel spielen", sondern es muss natürlich Sinn machen. Sonst könnte ich es auch lassen.
Du dekonstruierst die Stücke, um sie ein Stück weit wieder neu aufzubauen, aber du versuchst nicht um jeden Preis, etwas komplett Anderes daraus zu machen. Wie vermeidet man, dass man in die Klischeefalle tappt? Die Bach-Weiterverwandlung zum Beispiel war für mich beim ersten Hören ein Beispiel, dass du eben nicht in diese Klischeefalle tappst - das ist mehr ein fragender Monolog gewesen.
Summer: Ja, absolut. Ich kann das, glaube ich, gar nicht richtig in Worte fassen, was ich denke beim Spielen. Das kommt ja alles irgendwo her. Ich mache mir keine Gedanken und keine Checkliste "Das und das muss drin sein in dem Stück", sondern ich beginne normalerweise aus einem freien Impuls heraus. Und diese erste Sache, die da passiert in den ersten Sekunden, hat auch schon ein Eigenleben. Dieses Eigenleben versuche ich dann ein bisschen zu erforschen, damit zu spielen, es vielleicht auch zu verwerfen, wenn es mir nicht taugt.
Letztendlich versuche ich dann, einen Bezug herzustellen zu diesen musikalischen Dingen, was schon da ist, und dem Stück: ob das vielleicht Hand in Hand gehen kann, ob es sich widerspricht, ob man da irgendwelche Kontraste einbauen kann. Die treten in einen Dialog: das Stück und die freie Idee am Anfang. Ich mache mir keinen Kopf darüber, ob ich in irgendwelche Klischees rein rutsche. Die Stücke haben natürlich eine gewisse Tonsprache. Das hängt damit zusammen, dass sie aus einer Zeit kommen und man damals so und so komponiert hat. Aber ich kann, salopp gesprochen, meinen Senf dazugeben, mir Teile daraus nehmen und da etwas Eigenes daraus basteln.
Wenn man in den letzten Jahrzehnten mal schaut, gab es häufig den Fall, dass die Musik einfach verjazzt wurde, wenn man an Jacques Loussier denkt oder auch Eugen Cicero. Ist so etwas auch eine Inspirationsquelle für dich gewesen, solche Grenzgänger wie Friedrich Gulda oder Gabriela Montero?
Summer: Tatsächlich gar nicht so sehr. Ich bewundere die alle total, Friedrich Gulda und vor allen Dingen Gabriela Montero: Das ist unglaublich, was sie können. Ich habe grundsätzlich immer ein großes Faible für klassische Musikerinnen und Musiker, die sich für Improvisationen interessieren und das auch praktizieren, denn da gibt es nicht so viele. Wenn man beides auf die Bühne bringt und auch rein klassische Programme und reine Jazzprogramme spielt, fasziniert mich das total - denn ich mache das nicht. Das ist nicht mein Beruf, ein Klavierkonzert oder ein reines Klassik-Recital auf die Bühne zu bringen. Ich mache eben das, was ich mache, aber ich habe gar nicht so an diese Leute gedacht, als ich das Programm entwickelt habe.
Das Gespräch führt Philipp Cavert.