Fan-Gesänge bei der Fußball WM in Australien - wie entstehen sie?
Deutschland hat bei der Fußball WM beim Auftakt gleich 6:0 gegen Marokko gespielt. Und da gab es genügend Grund für die Fans zum Singen. Aber woher kommen Fan-Gesänge? Ein Gespräch mit Georg Brunner.
Der Ball rollt wieder. Am 20. Juli ist die Fifa WM in Neuseeland und Australien gestartet. Und mit ihr schreitet auch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Fußball ein Stück voran. Es spielen aber auch Fan-Gesänge eine große Rolle, schließlich gehören die zum Anfeuern dazu.
Einer, der sich beruflich mit Fan-Gesängen auseinandersetzt und dazu forscht, ist Georg Brunner, Professor am Institut für Musik der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Wie kamen Sie auf dieses Thema? Sind Sie selbst Fußballfan?
Georg Brunner: Bedingt schon, ich komme aus Bayern, und ich war zunächst Fan von Bayern München. Aber seitdem ich in Freiburg bin, bin ich Freiburg-Fan.
Gesänge zu sportlichen Wettkämpfen gibt es schon seit der Antike. Im Fußball kamen sie erst in den 1960er-Jahren auf. Wo kommen heutzutage die Melodien her?
Brunner: Das ist relativ unterschiedlich. Zunächst mal würde man meinen, dass sie von aktuellen Popsongs stammen würden. Dem ist aber letztendlich nicht so. Sie kommen aus allen Bereichen der Musik und ein Erklärmodell dafür ist relativ einfach. Man braucht Melodien, die möglichst viele kennen, und das kann ganz unterschiedlich sein. Es können Weihnachtslieder sein, Gospelsongs, Schlager, das kann aber auch aus einer Oper sein, das ist letztendlich ganz egal. Es müssen auf jeden Fall eingängige Melodien sein, die viele nachsingen können, denn das ist das Interessante daran, man verwendet nur die Melodien und versieht sie mit einem neuen Text.
Ganz wichtig ist natürlich die psychologische Funktion, die eigene Mannschaft zu unterstützen, die Gegnerinnen bange zu machen. Wie fließt das ein?
Brunner: Es fließt über den Text ein. Was man sich aber auch mal angeschaut hat, inwieweit Fan-Gesänge auch Fan-Gesänge sind. Rhythmisches Klatschen gehört im Grunde schon dazu, oder Kurz-Gesänge und ganze Hymnen gibt es auch. Fan-Gesänge werden gezielt eingesetzt, je nach Dramaturgie des Spiels. Da hat man sich einfach mal angeschaut, wie das so aussieht, man hat mehrere Spiele untersucht und klassifiziert. Man hat zum Beispiel gesehen, das ganze Lieder, vor allen Dingen vor dem Spiel schon eine Rolle spielen, denn Fan-Gesänge spielen nicht nur während des Spiels eine Rolle, sondern auch vorher und nachher, aber im Spiel selber natürlich auch.
Zu Spielbeginn hat man eher ganze Lieder. Bei Torerfolgen und wenn die Partie schon entschieden ist, haben wir auch längere Lieder. Dann kommen wir natürlich zu den anderen Bereichen, nämlich diese Klatschrhythmen, das rhythmisierte Rufen oder diese Kurz-Gesänge, die werden eher bei unentschiedenem Spielstand eingesetzt oder beim knappen Rückstand der eigenen Mannschaft.
Was natürlich dahinter steckt: Man glaubt, dass man damit den Spielverlauf beeinflussen kann. Jetzt könnte man die Frage stellen, inwieweit das tatsächlich empirisch nachweisbar ist. Das geht natürlich so nicht wirklich. Man bräuchte eine Kontrollgruppe. Ich bräuchte das Spiel mit und ohne Fan-Gesänge. Und wie wir wissen, verläuft auch jedes Spiel anders, man kann es nicht wirklich beweisen. Aber die Fans sind davon überzeugt: je lauter, desto besser.
Gerade wenn man in Führung liegt, dann gibt es auch das Phänomen der Spott-Gesänge. Da gibt es auch üble Fan-Gesänge.
Brunner: Ganz genau, also da gibt es wirklich Gesänge, die sehr anti sind, mit richtigen Anfeindungen und Diffamierungen. Ich habe versucht, das ein bisschen zu klassifizieren und da gibt es zum Beispiel Fußball-Fan-Gesänge, die sprachliche Ausdrücke verwenden wie: Absteiger, Auswechselspieler und indirekte Anfeindungen wie: Ihr könnt nach Hause fahren.
Das Gespräch führte Eva Schramm.