Eva Gesine Baur über Maria Callas und ihre Schattenseiten
Jahrhundertsängerin und echte Ikone: Maria Callas' Stimme ist unvergessen. Aber in die Schlagzeilen geriet sie auch wegen ihres schillernden Lebens. Im Gespräch erzählt die Kulturhistorikerin Eva Gesine Baur über eine andere Seite der Diva.
Maria Callas verkörperte Passion und Pathos, verzauberte ihr Publikum, sprengte als Künstlerin Konventionen vor allem in tragischen Rollen. Ihre technische Perfektion verband sie mit einer ungeheuren Intensität. Risse und Widersprüche aber prägten nicht nur die Figuren auf der Bühne, sondern auch die Szenen ihres eigenen Lebens.
Am 2. Dezember wäre Maria Callas 100 Jahre alt geworden. Die Kunsthistorikerin, Musikwissenschaftlerin, Publizistin und Schriftstellerin Eva Gesine Baur zeichnet das Leben der Ausnahmekünstlerin nach in der Biographie: "Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft" und zeigt: Leben und Kunst waren bei Callas nicht voneinander zu trennen.
Maria Callas hat die Menschen schon zu ihren Lebzeiten fasziniert, und diese Faszination ist immer noch da. Sie ist im September 1977 verstorben. Wie erklären Sie sich, dass diese Frau immer noch so eine Anziehungskraft hat?
Eva Gesine Baur: Sie ist die lebendigste Tote unter den Sänger*innen und ich habe lange darüber nachgedacht warum. Maria Callas ergreift uns bis heute, weil sie nicht perfekt war und weil sie Mut zum Risiko hatte, der wie ein Leitsatz über ihrem ganzen Leben zu stehen schien. Ich denke, manchmal brauchen wir mehr davon. Wir riskieren alle sehr wenig. Wir neigen dazu, unser Dasein abzusichern und auch sehr viele Künstlerinnen und Künstler neigen dazu. Maria Callas lebte volles Risiko. Sie hat gesanglich immer die Grenzen ausgereizt, sie hat Darstellergrenzen ausgereizt, und sie musste dabei natürlich auch scheitern. Aber sie wollte groß sein, auch im Scheitern und das hat sie geschafft.
Das ist etwas, was sich wie ein roter Faden durch Ihr Buch zieht: Maria Callas hat in ihrem eigenen Leben die antike Tragödie erlebt. Diese inneren Kämpfe zwischen der privaten Maria und der Sängerin Callas begleiten ihre Karriere. War das schon in ihren frühen Jahren so?
Baur: Ich glaube, ja. Sie hat diesen Konflikt in gewisser Hinsicht schon als junge Frau erlebt. Sie war sich dessen sicher noch gar nicht bewusst, als sie mit der Mutter nach Griechenland kam. Sie war als Kind letztendlich unerwünscht, denn die Mutter hatte sich einen Sohn gewünscht. Ein Bruder war zuvor im Kleinkindesalter gestorben und die ältere Schwester war eher nach dem Geschmack der Mutter, sie war liebenswürdig und bereits als Kind sehr hübsch. Maria Callas zeigte bald das große Talent zum Singen, und für die Mutter gab es dann zwei Marias. Die eine war das begabte Kind, das Erfolg hatte. Die ehrgeizige Mutter wollte, dass das Kind die Karriere macht, die sie nicht machen konnte. Sie förderte ihr begabtes Kind und öffnete überall die Türen. Sie beschützte und behütete sie und bereitete sie vor. Die andere Maria war eben das wachsende weibliche Wesen, das ihr nicht gefiel, das dicker und kurzsichtig wurde, keinen Scham besaß und ruppig und schwierig war. Letztendlich signalisierte sie diesem Kind, du wirst geliebt, wenn du etwas leistest. Das war natürlich auch wieder ein Konflikt. Aber dieser tragische Konflikt, diese Tragödie war sicher auch die Quelle ihres Künstlertums.
Maria Callas war privat ihr Leben lang eine ungebildete Frau, die Groschenromane las, die nie ein ernsthaftes Buch zur Hand nahm, die im Sonderangebot Kitsch einkaufte und sich damit die Taschen vollstopfte. Sie war die Frau, die, wenn Leonard Bernstein sie in Paris besuchte, vor der Glotze saß. Wenn er anfing mit ihr zu sprechen, stellte sie den Fernseher lauter. Zugleich war sie eben die große Künstlerin. Bernstein sagte nicht nur, dass sie die größte Sängerin des 20. Jahrhunderts war, sondern auch die größte Künstlerin, weil sie uns weit über den Gesang hinaus etwas hinterlassen hat. Das ist dieser Mut zum Risiko, dieses die Grenzen überschreiten wollen oder zumindest die Grenzen ausreizen wollen. Dieser künstlerische Wagemut, der ist überwältigend. Und er bringt etwas mit, was es braucht und was uns heute radikal fehlt, nämlich Pathos. Wir leben in einer pathosbereinigten Zeit und letztlich brauchen wir Pathos, um aus unserem Alltag herausgerissen zu werden. Ein Pathos, der uns packt und mitreißt und bis zum Ende mitschleift, ob wir wollen oder nicht. Das hat Maria Callas geleistet und leistet das noch immer.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.