Astor Piazzolla: Tango-Komponist mit Liebe zur Klassik
Bei Astor Piazzolla klingt das Bandoneon sinnlich, wild und melancholisch zugleich. Es atmet die Geschichte des argentinischen Tangos ein und aus wie ein lebendiges Wesen.
Der argentinische Musiker und Komponist Astor Piazzolla hat als junger Mann in dem legendären Orchester von Aníbal Troilo gespielt, komponierte traditionellen Tango für sein eigenes Ensemble und brachte ihn ein in die Welten von Pop und Jazz. Schon lange gehören seine Kompositionen auch zum klassischen Repertoire vieler Solisten und Orchester. Als "Tango Nuevo" hat er diese typische Musik der europäischen Migranten in Südamerika vom Bordell in die großen Konzerthäuser gebracht.
Die Wirkung von Astor Piazzolla auf der Bühne war magisch. Das rechte Bein angewinkelt auf einem Podest, der Rücken durchgedrückt, das Bandoneon auf dem Knie bewegt sich wie ein wildes Tier. Die rhythmischen Impulse seiner Bands und Ensembles waren immer immens straff und eckig.
Zusammenarbeit mit Alvaro Pierri
Es war 1985, Astor Piazzolla war endlich auch in Südamerika ein Musikstar und in Europa längst schon ein gefragter Musiker. Da klingelt unvermittelt bei dem klassischen Gitarristen Alvaro Pierri aus Uruguay das Telefon. "Ich bekam einen Telefonanruf und jemand sagte: 'Hey Alvaro, ich bin Astor Piazzolla.' Und ich habe gedacht, das sei ein Scherz." Eine Kooperationsanfrage. Zusammen nahmen die beiden beim WDR in Köln das Konzert für Bandoneon und Gitarre auf. "Die Zusammenarbeit war wirklich sehr schön, nicht nur lebendig, es war sehr spontan", sagt Alvaro Pierri. Der Gitarrist erinnert sich, wie der traditionelle Tango in Argentinien und Uruguay zum Alltag in den Familien gehörte. In den Gassen von Buenos Aires und Montevideo drangen die großen Aufnahmen von Elvino Vardaro oder Carlos Gardel aus allen Radios, jedes Kind hat sie gekannt. "Als es losging mit dem Tango, Anfang des 20. Jahrhunderts, war der Tango nicht 'Der Tango' sondern ein Salat von all den Einflüssen, die die Migranten nach Buenos Aires, Montevideo und Südbrasilien mitgebracht haben. Millionen Meschen aus Spanien, Deutschland, Portugal. All diese Menschen trafen sich in den Häfen und den Armenvierteln, um gemeinsam Musik zu machen. Die Sehnsucht nach der Heimat war ihre Gemeinsamkeit."
Auch in New York war der Tango immer präsent
Zu diesen Migranten gehören auch Vicente "Nonino" Piazzolla und Assunta Mainetti, die Eltern von Astor. Zwar wandert die Familie in die USA aus, als Astor vier Jahre alt ist, doch auch in New York war der Tango immer präsent. Das Grammophon plärrt im Friseursalon des Vaters und erinnert in an Buenos Aires. Schließlich bekommt Astor ein Bandoneon geschenkt.
"Ich erinnere mich, wie er mich zweimal in der Woche durch den New Yorker Winter bis in die Bronx gebracht hat", erzählte Astor Piazzolla in einem Interview. Dort bekam er Bandoneonunterricht. Sein Vater habe an ihn geglaubt, in für ein Genie gehalten. Jeden Abend, wenn er aus dem Salon kam, spielte der kleine Astor ihm vor. "Er dachte, ich sei Johann Sebastian Bach", erinnert Astor später.
Erst als Teenager kommt Astor Piazzolla zum Tango
Dabei dauert es noch lange, bis der Tangofunke zum jungen Astor überspringt. Erst als Teenager, die Familie ist nach Argentinien zurückgekehrt, hört er den neuen Tangostil von Elvino Vardaro oder Pedro Maffia und ist begeistert. Als das Orchester des Bandoneonisten Miguel Caló in die Stadt kommt, besteht der Junge darauf, den Musikern vorzuspielen. Die nehmen ihn sofort mit nach Buenos Aires.
"Ich war 17, sie nannten mich 'den Novizen', erzählt Piazzolla auf einer Kassette, die seine Tochter Diana aufgenommen hat. Er lebt in einem heruntergekommenen Hotel, arbeitet im zwielichtigen Cabarét "Novelty" und lernt sie kennen, die Welt der Gigolos, Prostiuierten, Trinker und Schwindler. Piazzolla tingelt durch die Tanzclubs und arbeitet sich hoch. Er arrangiert für Aníbal Troilo und spielt in seinem Orchester, um schließlich 1946 sein eigenes Ensemble zu gründen: Das Orquesta Tipica, mit dem er erste Schallplatten aufnimmt.
Piazzolla will als klassischer Komponist gesehen werden
Doch das Tanzclubgeschäft wird Piazzolla lästig, er leidet unter dem zweifelhaften Ruf des Tangos. Sagt sich sogar los von dieser Musik und stellt sein Bandoneon in den Schrank. Er will Bedeutung haben, als klassischer Komponist gesehen werden. Und schreibt in den 1950er-Jahren Stücke für Orchester wie die Sinfonietta oder Sinfonie Buenos Aires.
Wie viele Musiker aus den USA und Südamerika will Piazzolla in Europa als Komponist geadelt werden, er geht zur großen Dirigentin und Komponistin Nadia Boulanger nach Paris, um zu studieren. "Sie war wie eine zweite Mutter für mich. Sie war sehr interessiert, aber auch sehr hart, ihr Unterricht war wie Folter", erinnert sich Piazzolla später. Sie habe sich seine symphonischen Werke angehört und gesagt: "Das ist alles schön geschrieben, aber ich finde darin keinen Piazzolla. Wer ist Piazzolla?" "Am Ende musste ich verraten, dass ich Bandoneon spiele. Erst das hat sie wirklich überzeugt."
Tango Nuevo: Vertrackte Rhythmen, komplizierte Arrangements
Piazzolla kehrt nach Buenos Aires zurück, geadelt, nicht als klassischer, sondern als Tango-Komponist. Piazzolla holt den Tango aus den Tanzlokalen in die Jazzclubs und Konzerthäuser, seine Arrangements werden komplizierter, die Rhythmen vertrackter und er entwickelt das, was er schließlich Tango Nuevo nennt. "Tango Nuevo ist eine Mischung aus Tango und Bossa Nova", beschreibt es der Gitarrist und Piazzolla-Kenner Alvaro Pierri aus Uruguay. "In den 60er- und 70er-Jahren war das der Trend. Piazzolla hat das sicher auch aus musikalischen Gründen gemacht, aber auch als Möglichkeit, einen Teil des Publikums zu bekommen."
Besonders die Europäer lieben Piazzollas Musik
Astor Piazzolla wird ein Star. Besonders in Europa liebt man seine Musik. Er tourt mit seinen unterschiedlichen Ensembles, spielt mit dem Jazz-Saxophonisten Gerry Mulligan oder der italienischen Sängerin Milva. Er komponiert eine Oper und ein Tanzstück für das Wuppertal Ensemble von Pina Bausch. Piazzolla hat aus der Unterweltmusik des südlichen Südamerika ein Phänomen von Weltbedeutung gemacht. Er gehört zu den wenigen Komponisten des 20. Jahrhunderts, deren Werke einen festen Platz im Repertoire bekommen haben.