Unterwegs mit "Erklärbären": Greeter geben Gratis-Stadtführungen
Greeter gehören zu einer internationalen Bewegung von freiwilligen Stadtführerinnen und Stadtführern. Über ein Online-Portal können sie angefragt werden und führen dann kostenlos durch ihre Stadt - jetzt auch in Lübeck.
Ein verregneter Vormittag im April. Sandra Paulsohn hat Besuch von ihren beiden Freundinnen aus Osnabrück - und alle zusammen freuen sich auf den "Greet", einen ganz besonderen Stadtrundgang. "Ich fand die Idee wunderbar, als ich davon gehört habe", erzählt Paulsohn. "Jeder präsentiert die Stadt anders und ist in anderen Bereichen eingelesen. Es macht richtig viel Spaß, trotz des Wetters."
Passt ein Sarg durch? Mit den Greetern durch Lübecks enge Gassen
In Lübeck kommt man ums Holstentor, die Marienkirche und Marzipan nicht herum - deshalb startet die Tour auch vor dem legendären Café Niederegger. Die drei Teilnehmerinnen hatten sich bei der Online-Registrierung im Vorwege aber gewünscht, heute viel über die ebenso legendären engen Gänge und Hinterhöfe in der Altstadt zu erfahren.
Der Lübecker Greeter Gerhard Smits kennt sich mit den Lübecker Gängen und Hinterhöfen aus. Teilweise ist es hier so eng, dass man kaum mit einem Kinderwagen durchkommt. "Jeder Stadtführer erzählt: Die musste so breit gebaut werden, dass ein Sarg durchpasst", so Smits.
Versteckte Streetart und Anekdoten der Locals
Er und seine Frau Marlies haben alle über hundert Gänge auf der Altstadtinsel ausgekundschaftet. Deshalb kennen sie auch Besonderheiten, die andere Stadtführer womöglich nicht auf dem Zettel haben. Zum Beispiel versteckte Street Art: Plötzlich steht die Gruppe vor vier Kindern in Matrosenhemden, gemalt von Edvard Munch - ein Plakat auf einer Hinterhof-Mauer. Marlies Smits erzählt dazu: "Das ist ein Ausschnitt eines Gemäldes, das im Behnhaus hängt. Es heißt 'Die Söhne des Dr. Max Linde' und ist da quasi rauskopiert worden."
Netzwerk freiwilliger Stadtführer entstand in New York
Die Greeter-Bewegung ist in den 1990er-Jahren in New York entstanden und mittlerweile ein globales Netzwerk freiwilliger Stadtführerinnen und Stadtführer. Die Rundgänge der Greeter sind kostenlos und sehr individuell: Jede einzelne Anmeldung bekommt eine eigene Tour, vom einzelnen Gast bis zu sechs Leuten. Genau das gefällt Teilnehmerin Sylke von der Becke aus Osnabrück: "Es ist viel persönlicher. Bei anderen Touren wird man eher so durchgeschleust und kriegt auch nicht so viel mit, wenn so viele Leute dabei sind."
Die Stadtführerinnen und Stadtführer lassen ihre eigenen Erfahrungen einfließen. Der persönliche Blick macht die Touren so besonders: "Vor allem die ausländischen Gäste finden es zum Beispiel interessant, wenn meine Frau erzählt, dass sie im Grenzgraben gespielt hat", so Gerhard Smits. "Die Fragen dann: Wie, das war Zonenrandgebiet? Das wissen ganz viele Leute nicht."
"Wir Greeter sind eine spezielle Sorte Mensch"
In die imposante Kirche St. Marien geht die Gruppe nicht, denn die kostet Eintritt. Stattdessen: St. Aegidien, die kleinste der Lübecker Altstadtkirchen. Auch hierzu gibt es eine persönliche Anekdote von Marlies Smit: "Ich musste hier immer zu Fuß herlaufen, ich weiß nicht, wie viele Kilometer. Immer am Reformationstag und am letzten Schultag vor Weihnachten gab es einen Gottesdienst für alle Schüler."
Konkurrenz zu den professionellen Stadtführerinnen und Stadtführern gebe es nicht, sagt Gerhard Smits. Das ist gut, denn die die Greeter-Bewegung hat großen Zulauf. In Lübeck gibt es wohl bald einige freiwillige Stadtführerinnen und Stadtführer, die wie Gerhard und Marlies Freude daran haben, ihr Wissen zu teilen. "Ich glaube, wir Greeter sind eine spezielle Sorte Mensch", so der Lübecker. "Erklärbären vielleicht, dass man einfach Spaß hat, Leuten etwas zu zeigen. Und Lübeck ist so eine tolle Stadt - aber das behaupten die anderen Greeter andernorts von ihren Städten bestimmt auch."