Lübeck: Doppelausstellung zum 100. Jubiläum vom "Zauberberg"
"Fiebertraum und Höhenrausch" erzählt im St. Annen Museum in sieben Stationen von den zentralen Themen des Romans "Der Zauberberg" von Thomas Mann. In der benachbarten Kunsthalle sind unter dem Titel "Extra Time" raumgreifende Installationen zu erleben.
"Thomas Manns Roman 'Der Zauberberg' ist von unglaublicher sprachlicher Schönheit und Tiefe und hat bis heute nicht an Relevanz verloren", sagte die Leiterin des Buddenbrookhauses, Caren Heuer, "das wollten wir zum Ausdruck bringen". Thomas Mann begann sein Werk als satirische Kurzgeschichte - am Ende wurden es mehr als 1.000 Seiten. Elf Jahre hat er daran mit Unterbrechungen gearbeitet. Der Erste Weltkrieg kam dazwischen und veränderte alles.
"Es sind die grundlegenden Menschheitsthemen vom Sinn des Lebens, die in diesem Roman", erklärt Caren Heuer. "Wozu sind wir eigentlich auf dieser Welt? Was machen wir mit der Zeit, die uns zur Verfügung gestellt wird? Es geht um Liebe, Begehren. Es geht um Tod, um Krankheit, um Sterben. Und gerade der politische Gehalt dieses Buches, der im Verlauf des Textes immer stärker wird, ist von erschreckender Aktualität."
Reise mit Hauptfigur in ein Schweizer Lungensanatorium
Mit Fieber und Husten nimmt Thomas Mann 1919 das Schreiben wieder auf. Die Geschichte um den jungen Ingenieur Hans Castorp spielt in einem Sanatorium in Davos. Dort will der Hamburger Kaufmannssohn seinen Cousin besuchen - für drei Wochen, am Ende bleibt er sieben Jahre. "Thomas Mann selber hat so ein Sanatorium 1912 besucht. Eigentlich war seine Frau Katja da, da hatte man Schatten auf der Lunge gesehen und die sollte sich nun zur Erholung in Liege begeben. Thomas Mann fuhr dann hin und besuchte sie und war so inspiriert durch das Leben dort und durch die Gestalten, die er da traf, dass er den 'Zauberberg' anfing zu schreiben."
Gemeinsam mit der Hauptfigur Hans Castorp gehen die Besucher in der Ausstellung im St.-Annen-Museum auf die Reise in ein Schweizer Lungensanatorium. Fieberthermometer und Röntgengeräte aus dem 20. Jahrhundert sind ausgestellt, aber auch Smartwatches und Medizinbälle von heute. Das ständige Fiebermessen ist im "Zauberberg" ein zentrales Instrument der Diagnose. Heute würden die Menschen sich stattdessen von ihren Smartwatches überwachen lassen, sagte Heuer.
Innenleben und Sprache im Fokus
Vier Abschnitte sind Castorps Innenleben gewidmet. Ein Fokus liegt auf seinem erotischen Verlangen nach der Russin Clawdia Chauchat, dargestellt mit einem rosarot ausgeleuchteten Raum mit Phallussymbolen aus dem Roman. "Hans Castorp befindet sich ja in Liege, schläft also permanent. Dann träumt er, wacht wieder auf, ist aber nur im Halbschlaf. Das ist etwas, was den ganzen Roman bestimmt, dass man irgendwann auch als Leser nicht mehr weiß: Ist der gerade wach oder träumte er das? Oder passiert das gerade wirklich?"
Castorp beobachtet, wie sich zwei Kontrahenten politisch bekämpfen, am Ende ihrer Debatten eskaliert es. Thomas Mann habe ganz genau beobachtet, wie hasserfüllte Sprache schon damals zu Gewalttaten führte, erklärt die Buddenbrookhaus-Chefin: "Die Zitate, die Sie an den Wänden finden, behandeln Themen des Romans. Darüber wird auch im Roman gestritten. Die Zitate aber selbst kommen aus der Gegenwart. Sie sind aus unserer Zeit. Damit gelingt uns natürlich, die Brücke zu sagen, das, worüber dort gestritten wird, das beschäftigt uns heute noch. Und so finden Sie hier an unseren Wänden Zitate von Olaf Scholz bis Osama bin Laden."
Raumgreifende Installationen zum Thema in der Kunsthalle
In der benachbarten Kunsthalle St. Annen sind unter dem Titel "Extra Time" raumgreifende Installationen der britischen Künstlerin Heather Phillipson aus Videokunst, Skulpturen, Musik, Texten und Zeichnungen zu sehen. Sie wählte das Thema Zeit als Hauptmotiv. Gleich zu Beginn führt Phillipson ihre Hauptakteure ein. Schwarze Krähen sitzen auf kleinen Fußballfeldern, sie begegnen den Besuchern auf der gesamten Ausstellungsfläche immer wieder. Krähen gelten in Mythen oft als Vorboten großer Umbrüche, erklärte die Leiterin der Kunsthalle, Noura Dirani.
Die Schau lade die Besucher zu einem Gedankenexperiment ein, unter der Leitfrage, ob die Gesellschaft sich wie die Romanfiguren wieder vor einem großen Umbruch befinde und was man dem entgegensetzen könne. Die Antwort darauf muss sich am Ende jeder Besucher selbst geben.