Linda McCue: Verwirrspiel zwischen Erinnerung und Vergänglichkeit
"Home Ground, Foreign Territory" heißt die aktuelle Schau mit Werken der in Toronto geborenen und in Hamburg lebenden Künstlerin in der Overbeck Gesellschaft in Lübeck. Es geht um Heimat und den Zustand des Dazwischenseins.
Man möchte diese bunte Wolldecke da an der Wand festhalten, damit sie nicht aus dem Bild fällt. Trompe-l'œil kommt einem in den Sinn, diese illusionistische Barockmalerei. Denn auch diese Decke wirkt mit ihrem leichten Faltenwurf echt, sehr echt - geradezu haptisch.
Gegenstände aus dem kanadischen Alltag
"Ja, diese Decken habe ich eins-zu-eins abgebildet in meiner Malerei. Und diese Decken wurden einst in Kanada hergestellt. Aber diese Webereien gibt es gar nicht mehr", sagt Linda McCue. Die Decken selbst aber sind immer noch in wohl jedem kanadischen Auto zu finden, wegen möglicher Schneestürme, erzählt die 1964 in Toronto geborene Künstlerin.
Man sieht die einzelnen Fäden. Man spürt fast das Wollige. Aber das alles steht eben für etwas. Diese Ausstellung heißt nicht umsonst "Home Ground, Foreign Territory", also so viel wie Heimat und Fremde. "Die Farben, die Muster, die können Geschichten erzählen. Und ich finde, mit Stoff sind Erinnerungen verbunden, fast verwoben im Stoff selbst", sagt Linda McCue. Sie erzähle damit von ihrer Heimat. "Das ist meine persönliche Sachen, aber das soll darüberhinausgehen."
Linda McCue hinterfragt den Begriff "Heimat"
Linda McCue, die seit den 90ern in Hamburg lebt und an der HFBK, der Hochschule für Bildende Künste, studierte, hinterfragt Heimat, einen Begriff, der vielen inzwischen fremd erscheint. Und sie verweist auf Vergänglichkeit und die Möglichkeit, vielleicht auch die Gefahr, durch Wandel.
Nicht "persönlich", aber ganz sicher in ihrem Erinnerungsschatz sind die Muster ihrer Bilderserie "Family Walls". Auf den Leinwänden sind Ornamente, wie sie zum Beispiel auf den deckenhohen Wandbespannungen italienischer Palazzi zu sehen sind. "Ja, das kommt aus einer Weberei in Venedig, eine der wenigen in Europa, die solche Weberei überhaupt noch machen. Die Leute wollen’s eigentlich auch nicht mehr um sich haben", erläutert sie. Deswegen diese Leere unten und dieses sehr Detaillierte oben.
Verweise auf aktuelle Bedrohungen
Genau das macht diese Bilder von Linda McCue aus: dass das Muster wie ein lose fallender Vorhang über das Bild reicht - nur eben nicht ganz. Denn von unten drückt nackte, ausgeblichene Leinwand nach. Es ist wie ein Kampf der Vergangenheit gegen das Unfertige, Zukünftige, Moderne. "Der Hintergedanke war auch ein bisschen das aqua alta in Venedig, wo das Wasser so hoch geht. Aber das passiert auch überall auf der Welt. Es kommt hoch und verdrängt ein bisschen das Alte sozusagen", erklärt die Künstlerin.
Linda McCue bringt herausgefrästen Asphalt auf die Leinwand
Vergangenes dann auch in einer anderen, vierteiligen Serie. Die Kuratorin der Ausstellung, Meike Behm, zeigt auf horizontalen und vertikalen kleinteiligen Splitt-Asphalt: "Linda McCue hat bei der Neuasphaltierung der Straße am Bahnhof Hamburg-Dammtor die Handwerker gebeten, ihr ein Stück vom Asphalt, den sie rausgebrochen haben, zu geben. Damit ist sie dann ins Atelier und hat die Struktur des Asphalts in kleinteiligster, akribischer Malerei auf die Leinwand gebracht." Und dagegen - auf jedem der mittelgroßen Formate - einen immer exakt 25 Zentimeter breiten weißen Streifen gesetzt. "Das ist nicht etwa die monochrome weiße Fläche gegen die unregelmäßige Asphaltfläche, sondern das ist der Markierungsstreifen auf der Straße, der den Verkehr regelt", führt die Kuratorin weiter aus. Rausgefräster Asphalt auf Leinwand. Meike Behm bezeichnet das als "grandios".
Auch hier fehlt also etwas, das sich so nur im Bild bewahren lässt - wo es sich aber auch gleich gegen ein begrenzendes, neues, frisches Weiß behaupten muss. Und so erinnert diese Bilderserie stark an die langsam verschwindenden Stoff-Wandbehänge der Palazzi gegenüber. "Es ist aber wirklich so, dass Linda McCues Arbeiten nicht nostalgisch gesehen werden sollen, sondern als Plädoyer fürs Nebeneinander zwischen Alt und Neu, zwischen Tradition und zeitgenössischem Lifestyle oder auch Muster.
Die Ausstellung im Kunstverein Lübeck, Overbeck-Pavillion, läuft bis zum 1. September 2024.