Uta Ruhkamp über Kapwani Kiwangas Kunst in Wolfsburg
Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet sich den Arbeiten von Kapwani Kiwanga, die die Kuratorin Uta Ruhkamp in Szene setzt. Es sind Arbeiten mit verschiedenen Zugängen zu komplexen Inhalten. Was Blumen mit der Kolonialzeit zu tun haben, verrät sie uns im Interview.
Das Werk von Kapwani Kiwanga ist imposant: Ihre raumgreifenden Installationen verbinden sich stets zu einer einmaligen ästhetischen, erkenntnisreichen, auch körperlichen Erfahrung. Die kanadisch-französische Künstlerin nutzt die Wirkungsmacht von Farbe, Licht und Material und erzählt globale Geschichte(n) aus neuen Perspektiven. Da sind zarte Zierpflanzen, die toxische Kraft bergen, knallige Farben, die manipulative Effekte entfalten und immer wieder Licht, das als politisches Instrument entlarvt wird.
Für ihre Arbeiten ist Kapwani Kiwanga mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet worden, hat in Paris, Berlin oder New York ausgestellt und war 2022 mit einer Stoffinstallation auf der Biennale in Venedig zu sehen. Im nächsten Jahr wird eine Arbeit von ihr dort den kanadischen Pavillon repräsentieren.
Vorher, seit dem 16. September, widmet das Kunstmuseum Wolfsburg der Künstlerin die Ausstellung "Die Länge des Horizonts", kuratiert von Uta Ruhkamp. Seit 2013 ist die Kuratorin am Kunstmuseum Wolfsburg tätig, hat ihren Fokus vielfach auf weibliche und politische Positionen gerichtet und so große, intensive Ausstellungen wie "Facing India" betreut. Über ihre künstlerischen Ambitionen und Ausrichtungen, ihre Entdeckung von Kapwani Kiwanga und über ihre Arbeit am Kunstmuseum Wolfsburg spricht Uta Ruhkamp in "NDR Kultur à la carte".
Seit ihrem Start in Wolfsburg haben Sie ganz viele große Ausstellungen mitverantwortet. Seit 2010 sind es 15 an der Zahl, also mindestens eine pro Jahr. Die sechzehnte ist in Arbeit: Kapwani Kiwanga ist eine Überblicksschau über das bisherige Schaffen der Künstlerin. Was ist bei Ihnen im Kunstmuseum genau zu sehen?
Uta Ruhkamp: Ihr Œuvre ist sehr interessant, weil sie oft raumbezogen arbeitet. Gemessen daran, dass Kiwanga 1978 geboren ist, hat sie einen relativ langen Ausbildungsweg, bis sie zur Kunst kommt. Sie studiert erstmal Anthropologie und vergleichende Religionswissenschaften und geht zum Dokumentarfilm. Sie kommt zur Kunst, indem sie nochmal zur École de Louvre geht. Dann macht sie ein postgraduiertes Studienprogramm in Nordfrankreich, und dann kommt sie zur Kunst und nutzt dafür ihren Computer. Sie ist am Anfang vor allem performativ tätig. Daraus entwickelt sich dann ein immer größeres Werk, das extrem recherchebasiert ist. Sie forscht, sie geht in Archive und diese gut recherchierten historischen Quellen setzt sie zunehmend in wahnsinnig ästhetische Arbeiten um. Daraus ist tatsächlich schon ein recht großes Œuvre entstanden, mit sehr raumgreifenden Arbeiten, die sich wiederum wunderbar für die große Halle des Kunstmuseums Wolfsburg eignen.
Wie haben Sie die Künstlerin gefunden? Ich glaube, sie hat mittlerweile auch schon in anderen Städten große Ausstellungen gezeigt. Inwiefern ist sie Teil der Diskussion in der Kunstwelt?
Ruhkamp: Sie ist im Moment äußerst gefragt. Sie wird den Kanada Pavillon auf der nächsten Biennale in Venedig bespielen. Letztes Jahr hatte sie eine Ausstellung im New Museum in New York. Sie wird im Moment mit Preisen überschüttet: sie bekam den Zurich Art Prize im letzten Jahr und dann den Preis Marcel Duchamp, der vom Centre Pompidou vergeben wird. Sie scheint gerade am Puls der Zeit zu sein, sodass sie wirklich sehr erfolgreich ist.
Das sind sehr ästhetische, sinnliche, sehr poetische, zum Teil sehr leicht schwebend wirkende Arbeiten. Sie hat Blumenarrangements gemacht, transparente Stoffbahnen, die im Raum hängen, raffinierte Lichtinstallationen - das wirkt alles sehr transzendent, sehr schwebend und gleichzeitig sind es Arbeiten, die inhaltlich mit politischer Aussage aufgeladen sind. Was genau verbirgt sich dahinter?
Ruhkamp: Sie versucht, verschiedene Zugänge zu komplexen Inhalten zu schaffen. Sie nennt das sogenannte Exit-Strategien oder Ausgangs-Strategien, wo nach einem neuen Vokabular gesucht wird, das vielleicht auf der ersten Ebene zunächst verführt. Wenn man Lust hat, kann man sich auf einer zweiten Ebene mit dem Inhalt auseinandersetzen. Zum Beispiel basieren ihre luftig-leichten Blumenbouquets aus der Serie "Flowers for Africa" auf Recherchen, die sie in demokratischen Archiven und Nationalarchiven in Afrika gemacht hat. Sie hat sich für die Momente der Unabhängigkeit afrikanischer Länder interessiert, aus der Kolonialphase übergehend in die eigene staatliche Form. Sie hat nach Fotografien des Moments des Machtübergangs gesucht. Dann hat sie sich die Peripherien der Fotografien angeschaut und die Blumenbouquets gesehen. Das heißt, dass sie nach und nach für jedes afrikanische Land, das aus der Kolonialform in die Unabhängigkeit übergegangen ist, so ein Blumenbouquet zu finden versucht. Und das wird dann für die Ausstellung reinszeniert. Sie schaut über die Blumen in die Vergangenheit und lässt sie vor den Augen der Gäste verwelken. Dann schaut sie in die Zukunft und lässt die Blumen im nächsten Ausstellungsprojekt wieder erblühen. Diese ganze Geschichte der Kolonialpolitik, aber auch dieser leichte Zugang über die Blumen ist eine unheimlich poetische und interessante Form mit Geschichte umzugehen und darauf aufmerksam zu machen.
Das Gespräch führte Janek Wiechers.