Kestner Gesellschaft mit sehr politischer Frühjahrsschau
Nur ein paar Ballettstangen an den Wänden links und rechts, hinten ein nahezu wandfüllender Spiegel. Wunderbar weitläufig ist dieser rechte Raum im Obergeschoss der Kestner Gesellschaft. Man könnte ihn für einen Ballettsaal halten, wäre da nicht diese hohe Videoprojektionsfläche. Zu sehen ist eine blaue Fläche, auf die ab und zu Speichel fällt, dann zeigt sich das Bild einer Person.
Ein Experiment mit Zeit und Raum der Künstlerin Anna K.E.: "Ich wollte ein kosmisches Erlebnis schaffen. Durch die Spucke verschwimmt das Selbstporträt des Künstlers, und es entsteht eine Art so generelle Empfindung und eine Art Auslöschung vom eigenen Porträt, von sich selbst, vom eigenen Namen, der eigenen Geschichte und es ist auch so ein katharsisartiges Erlebnis."
"Dolorem Ipsum" ist der Titel der Ausstellung von Anna K.E., die ihr Heimatland Georgien 2019 auf der Venedig-Biennale vertrat. Es bedeutet so viel wie Schmerz oder auch Selbstschmerz. Ein Gefühl, das die 1986 geborene Künstlerin aus ihrer Ballettausbildung kennt. Die Belohnung für die körperlichen Mühen steckt in den Stangen. Sie sind mit Marzipan gefüllt. Wo Sätze wie "streching beyond duties" - deutsch etwa: "über Pflichten hinausgehen" - ins Holz gestanzt sind, quillt es heraus.
Roger Hiorns thematisiert Macht und Körperlichkeit
Auch Roger Hiorns, geboren 1975 in Birmingham, thematisiert Körperlichkeit. In einem der unteren Säle sind seine großformatigen "Pathway"-Gemälde zu sehen, die auch als Sex-Gemälde bezeichnet werden. Schemenhaft gezeichnete Männer im Spiel der Lust auf schwarzem Grund. Dazu ertönt aus Lautsprechern eine Soundinstallation, abgespielt wird jeden Tag aufs Neue eine aktuelle Nachrichtensendung. "Was ich mit der Ausstellung erreichen will, ist dieses Schichten von einer Lage auf eine andere, auf eine weitere, so dass es fast zu viel wird. Um das auf die Spitze zu treiben, spiele ich den Ton der BBC-Sendung 'Today' ab", sagt der Künstler.
Die Frage nach Macht und Körperlichkeit stellt Hiorns mit seiner Arbeit "Youth". Im zweiten Saal im Erdgeschoss setzt er dafür junge Männer auf massive Maschinenteile. Es sind Performances auf einem großen, ausrangierten Düsentriebwerk geplant. Männliche Aktmodelle nehmen als lebende Skulpturen teil, sagt der Kurator der Ausstellung Robert Knoke: "Es geht um Jugend. Bei den Maschinen denkt man vielleicht an Krieg, Soldaten, junge Männer, die verheizt werden. Und somit hat es auch etwas sehr, sehr Tragisches und Ernstes, gerade in dem Bezug zu der Soundinstallation, die wir auch haben. Und somit hat es einen ganz starken Bezug zur auch aktuellen politischen Lage in der Welt."
Nira Pereg widmet sich der politischen Lage
In der Videoarbeit "Abraham Abraham Sarah Sarah" von Nira Pereg kann man die politische Weltlage erleben. Auf zwei gleichzeitig ablaufenden Videos zeigt die israelische Künstlerin, wie sich Juden und Muslime einen Wallfahrtsort im Westjordanland teilen. Während die einen Stoffbahnen mit hebräischen Texten aufhängen, rollen die anderen am selben Ort Gebetsteppiche aus.
"..das Ausmaß des Möglichen", wie es von der Fassade der Kestner Gesellschaft leuchtet - es könnte auch die Vision eines gedeihlichen Miteinanders sein in dieser sehr politischen Frühjahrsschau in Hannover. Zu sehen bis zum 30. Juni in der Kestner Gesellschaft.