Die Wut in Kunst gepackt: Vanessa Münstermann überlebte Säureanschlag
Vanessa Münstermann aus Hannover wurde vor einigen Jahren Opfer eines Säureanschlags durch ihren Ex-Partner. In ihrer Kunst verarbeitet sie ihren Schmerz, ihre Wut und ihre Verzweiflung.
Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, auch bekannt als Orange Day, wird weltweit auf eine alarmierende Realität aufmerksam gemacht: Die Zahl der Fälle von häuslicher, sexualisierter oder psychischer Gewalt an Frauen steigt seit Jahren an. Hinter den Zahlen stehen individuelle Schicksale. Vanessa Münstermann aus Hannover wurde 2016 Opfer eines Säureanschlags durch ihren Ex-Partner. Sie hat sich zurück ins Leben gekämpft - mit Kunst und Musik verarbeitet sie Gefühle, die sich nicht in Worte fassen lassen.
Begegnung im Sprengel Museum Hannover
Vanessa Münstermann steht im Sprengel Museum Hannover vor der monumentalen Installation "d23". Möbel, Spielzeug, Bücher, Dachziegel: Der Bildhauer Thomas Rentmeister hat das komplette Inventar seines Elternhauses bis unter die Decke der Ausstellungshalle gestapelt. Dem Kunstwerk entströmt ein heimelig-muffiger Geruch, mit einer Prise Penatencreme. "Hier ist zwar ein Haushalt zu sehen. Aber ich glaube, das ist der emotionale Haushalt, also dieses Gefühlschaos, das wir immer mitschleppen", erzählt Münstermann. "Wenn man dieses Gerümpel, diese Gedankenkreisläufe hat, das mal in Schubladen einzusortieren. Egal wie schlimm das Trauma ist, zu sagen: 'Das ist jetzt hier gut aufgehoben, und ich hole dich wieder raus und verarbeite dich und lass dich dann los, wenn die Zeit gekommen ist."
"Sich in Opferrolle zu suhlen ist nicht der richtige Weg"
Münstermann weiß, wovon sie spricht. Im Februar 2016 war die Kosmetikerin Ziel eines Säureanschlags ihres Ex-Freundes. Mit der Schwefelsäure verbrannte ihr der Täter das halbe Gesicht, nahm ihr auf einer Seite auch das Augenlicht. Münstermann hat den Strafprozess und eine Serie schmerzhafter Operationen durchgestanden. Wie geht es ihr heute? "Ich habe schnell nach dem Attentat gelernt, dass ich das Glück nicht von außen finden kann. Sich in einer Opferrolle zu suhlen, ist nicht der richtige Weg, um weiterzukommen. Natürlich bin ich Opfer einer Gewalttat - aber ich wollte mich nie so fühlen."
Die Tätowierung auf ihrer vernarbten Wunde steht sinnbildlich für ihre Zerrissenheit zwischen Gefühl und Ratio, Verzweiflung und Lebensmut. Ihren Beruf kann Münstermann nicht mehr ausüben - aber sie hat einen liebevollen Mann gefunden, der das Geld für die Familie verdient. Die beiden haben eine sechsjährige Tochter. Münstermann kam über die Kunsttherapie zum Malen: "Ich habe viel Wut in mir. Und viel Trauer. Das möchte ich ohne Filter rauslassen - und das kann ich da. Auch wenn es dann Leid bedeutet, schmeiße ich mit meiner Tochter die Farbe an die Wand. Da wird auch einmal ein Tränchen vergossen. Das ist die Kunst."
Kunst und Musik helfen bei der Verarbeitung
Auch die Musik hat es Münstermann angetan. Auf Instagram dokumentiert sie schonungslos erste Fingerübungen auf der Violine. Für das unbeugsame Energiegebündel ist auch die Musik ein Ausdruck seelischer und körperlicher Qualen.
Noch immer schreckt sie in Panik hoch, weil sie die imaginäre Stimme des Täters hört: "Ich habe gemerkt, wenn ich spiele, dass die Stimmen verstummen. Wenn ich dann krächze und die Tauben vom Dach hole oder mein Mann das gerne noch mal ins Feuer schmeißen möchte, dann weiß ich - 'okay, mir tat es aber gut'. Da spielt Perfektion keine Rolle mehr. Es ist das reine Gefühl."
Vorbild: "Schießbild" von Niki de Saint Phalle
Wir stehen vor dem "Schießbild" von Niki de Saint Phalle: "La mort du patriarche", "Der Tod des Patriarchen". Ein unförmiger Körper aus weißem Gips, rundum besudelt von den Spritzern aus den daran befestigten und mit dem Gewehr beschossenen Farbdosen. Ein künstlerischer Befreiungsakt, mit dem Niki de Saint Phalle auch den sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit aufarbeitete. "Für mich wäre das jetzt nichts, was ich mir ins Wohnzimmer hängen würde - ich muss aber gestehen, ich verstehe sie", erzählt Münstermann.
Fast an jedem Tag wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen getötet. Viele dieser Morde könnten verhindert werden, aber es fehlen Beratungsstellen und Frauenhausplätze. Der Mann, der sie zerstören wollte, kommt bald aus der Haft. Münstermann fühlt sich mit ihrer Wut und Ohnmacht allein gelassen. "Muss ich warten, bis er rauskommt und mir oder meiner Familie etwas antut? Ich gehe nicht mehr alleine raus, ich habe Angst. Ich fühle mich von der Politik nicht gut aufgehoben. Da sind die Gesetze zu lasch. Punkt. Wir werden ja regelrecht den Wölfen vorgeworfen."