Der Maler Oskar Manigk sitzt einem Wohnzimmer, neben ihm lehnen Bilder. © NDR Foto: Juliane Voigt
Der Maler Oskar Manigk sitzt einem Wohnzimmer, neben ihm lehnen Bilder. © NDR Foto: Juliane Voigt
Der Maler Oskar Manigk sitzt einem Wohnzimmer, neben ihm lehnen Bilder. © NDR Foto: Juliane Voigt
AUDIO: Maler Oskar Manigk wird 90: "Man hätte ja auch aufhören können" (4 Min)

Maler Oskar Manigk wird 90: "Man hätte ja auch aufhören können"

Stand: 29.04.2024 11:10 Uhr

Oskar Manigk wird heute 90 Jahre alt - und gehört mit seinen Ausstellungen immer noch in die relevante Künstlerschaft der Gegenwart. Je nach Tagesform malt er noch fast jeden Tag, was in seinem Ückeritzer Haus für Probleme mit der Lagerung sorgt.

von Juliane Voigt

Oskar Manigk, immer noch ein schlaksiger Riese, ein großer Mann mit kahlem Charakterkopf, läuft lässig durch den Garten ums Haus. 90 Jahre und kein bisschen greise. Wie es ihm damit geht, dass er 90 wird, weiß er gar nicht so genau. "Es ist wie drei oder wie fünf, es ist halt das erste Mal", sagt der Künstler. "Es hat sich natürlich schon 90 Mal wiederholt, dieses Datum. Irgendwie begreift man es gar nicht. Zum Glück auch."

Ein Haus am Waldrand, im Hintergrund rauscht die Ostsee

Mit seiner Frau lebt Manigk in Ückeritz in einem Haus am Waldrand; die Ostsee rauscht im Hintergrund. Hierhin hat es ihn Anfang der 40er-Jahre verschlagen. Das Wohnhaus der Eltern in Berlin war kriegszerstört. Der Vater des Jungen, Otto Manigk, in den Krieg eingezogen. Zuflucht war damals das Sommer-Haus der Großeltern auf Usedom.

"Da haben wir mit drei Familien und sieben oder acht Kindern gewohnt", erinnert sich Manigk. "Es war unglaublich eng. Jede Familie hatte ein winziges Zimmer und alle zusammen nutzten eine Küche und ein Wohnzimmer. Für die Mütter war das wirklich furchtbar, denke ich heute. Man musste sich natürlich arrangieren und miteinander auskommen. Für die Kinder war es wiederum schön, weil immer jemand zum Spielen da war."

"Von Ferne das Grollen": Kindheitserinnerungen an den Krieg 

Das Haus bot ein halbwegs intaktes Umfeld in einer Welt voller Kriege, Bomben und Zerstörung. Der Maler erinnert sich: "Von Ferne das Grollen und der Feuerschein. Auch von Stettin haben wir den Feuerschein abends gesehen. Man hat schon gemerkt, dass etwas in Gange ist, etwas Beängstigendes, und uns wahrscheinlich auch erreichen wird. Die Angst spüre ich heute noch. Aber es war nicht so unmittelbar die Lebensgefahr."

Gerade hat Manigk für Ausstellungen in Zinnowitz und Berlin Gemälde herausgesucht. Die riesigen Formate nehmen in Stapeln an die Wand gelehnt den halben Raum ein. Es sind Bild-Ereignisse, hat einmal jemand gesagt: expressiv, pop-artig, surreal.

Keine akademische Ausbildung 

Eine Kunsthochschule hat er nie besucht. "Die Zahl derer, die da ausgebildet werden konnten, war sehr begrenzt", erklärt Manigk. "Ob Maler, Bildhauer oder Modegestalter - es gab immer nur ein paar Studienplätze für jedes Fach. Da kamen natürlich zuerst die in den Genuss eines Platzes, die von ihrem Betrieb delegiert wurden, ob sie nun wollten oder Interesse hatten oder wie auch immer. Oft ist aus denen auch gar nichts geworden. Aber das war politisch so gewollt. Das waren die Kinder von Arbeitern, damals gab es ja diese Auslese. Und wir gehörten zur Intelligenz - damit mussten wir uns ans Ende der Schlange stellen."

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Nach einer Tischlerlehre versuchte er es mit Innenarchitektur, aber auch der Plan ging nicht auf. "Dann musste ich mir wieder die Frage stellen, wohin jetzt mit mir? Mein Vater hat mich dann ermuntert und mitgenommen zu irgendwelchen baugebundenen Arbeiten, so als Assistent. Ich bin dort dann so allmählich hineingewachsen und dann merkte ich doch, dass die Freiheit, die man dabei hat, bei allen anderen Risiken, doch einen großen Wert bedeutet." 

Oskar Manigk über das Malen: "Es ist ein einsamer Beruf" 

Manigk war in unzähligen Ausstellungen vertreten, große Museen haben seine Arbeiten angekauft. Er hat Kunstpreise bekommen, 2005 auch den Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern und gerade den Egmont-Schaefer-Preis für Zeichnung. Aber er musste früh begreifen, dass es seine ganz eigene Angelegenheit ist, zu malen oder nicht zu malen. "Es ist ja ein einsamer Beruf. Das muss man aushalten. Man muss alleine zunächst einmal mit der Arbeit fertig werden. Oder überhaupt mal eine Motivation bei sich entdecken. Es ist anders als im Betrieb, wo der Chef sagt: Mach dies mach das. Der Künstler muss halt seine Aufgaben selbst finden. Und zunächst mal interessiert es keinen anderen."

Um ihn herum lebten Künstler mit großen Namen. Sein Vater Otto Manigk, Herbert Wegehaupt, Otto Niemeyer-Holstein, die Usedomer Malerschule. "Es ist ja immer das Problem, dass die jüngere Generation sich absetzen will von den Älteren", so der Maler. "Doch den Vergleich will sie eigentlich vermeiden. Sie möchte anders gesehen werden, als Einmaligkeit. Nicht als Traditionsfortsetzer, sondern als Neuheit, als etwas Besonderes. Dann beginnt man nach eigenen Möglichkeiten zu suchen - und das ist oft ein langes Suchen."

Inspiration in Ost-Berlin

Gesucht hat Manigk dann vor allem in Berlin. Er ist immer gependelt zwischen Ückeritz und der großen Stadt. Lange war Ost-Berlin ein wichtiger Kontrast, erzählt der Künstler: "Es war eben diese Andersartigkeit, die auch mit der Nähe zum Westen und den besseren Informationsmöglichkeiten zu tun hatte. Die Anregungen kamen oft nicht direkt durch direkte Anschauung, sondern über Kataloge, Fotografien und Berichte, also in der Regel aus zweiter Hand. Das ist auch nicht das Beste, aber immer noch besser als ganz darauf zu verzichten und sich im Nebel zu bewegen."

Als Künstler hatte er auch Zeiten, in denen es schwierig war. Gerade nach dem Mauerfall, als es darum ging, sich und seine Ausdrucksformen neu zu finden, Möglichkeiten zu erkunden. Bis heute scheut er die Bequemlichkeit. "Man hat schon Strecken gehabt, wo man wirklich sehr arm war, aber man hat es nicht anders gekannt", berichtet Manigk. "Es wird stupide, wenn es nur noch ums Wohlbefinden geht. In der Kunst muss das nicht sein, darum beklage ich mich auch nicht. Man ist sowieso in guter Gesellschaft, wenn man auf diesem Niveau lebt und sich eine gewisse Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit angeeignet hat. Denn es geht vielen so. Es gibt ja in kaum einem Beruf solche gravierenden Unterschiede, wie bei Künstlern: Die einen sind Multimillionäre und die anderen sammeln Flaschen."

Kunst in Museen: "Von Gerhard Richter nehmen die natürlich jeden Zettel"

Ein Bild in der Sammlung zeigt eine Frau. Es sind schwarze Linien, sie beißt in einen roten Apfel. Es ist so kraftvoll und heiter und frech, ein Bild aus dem vergangenen Jahr. Kaum zu glauben, dass dieser Mann 90 Jahre alt ist. Je nach Tagesform malt er noch jeden Tag. Das sei aber auch das größte Problem, das ein Maler haben kann: Zu viele Bilder. "Der eine kommt ins Museum, der andere nicht. Da weiß man auch nicht, warum. Wer ins Museum kommt, dessen Werk ist ja halbwegs in Sicherheit und aufbewahrt. Aber die Museen nehmen keine Nachlässe mehr an, auch keine Schenkungen. Vielleicht mal drei Bilder - aber nicht 3.000. Von Gerhard Richter nehmen die natürlich jeden Zettel. Diese Beengung ist jetzt in meinem Alter eigentlich das größte Problem. Und natürlich ist sie selbst verschuldet. Man hätte ja auch aufhören können."

Er zeigt auf seinen Garten, in dem im Hintergrund mehrere Holz-Schuppen stehen. Alle sind voller Bilder. Das Atelier voller Papierstapel. Jede Einladung zu einer Ausstellung sorge für ein Riesengeraffel, -geräume und -gekrame, das nichts mit seiner Arbeit zu tun habe. Das wird bald wieder auf ihn zukommen. Aber erst einmal ist ja Geburtstag. "Montag mache ich gar nichts. Aber ich muss wohl zu Hause bleiben, weil da so ein paar Leute aus der Umgebung zum Gratulieren kommen wollen. Die eigentliche Geburtstagsfeier ist dann erst am Sonntag. Da kommen dann meine Kinder, die Verwandtschaft und so weiter."

Herzlichen Glückwunsch, Oskar Manigk! Und noch schöne Lebensjahre mit Bildern, die hoffentlich gar nicht erst ins Depot gehen sollen. Die Welt braucht die Bilder von Oskar Manigk. Heute mehr denn je.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Kulturjournal | 29.04.2024 | 19:00 Uhr

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