Ukrainische Kulturschaffende und Kunstschätze: Wie MV hilft
Vor einem Jahr begann der Überfall Russlands auf die Ukraine. Zahlreiche ukrainische Künstler*innen finden seitdem in Mecklenburg-Vorpommern Zuflucht und Unterstützung. Viele versuchen zudem, ukrainische Kunstwerke zu retten.
Über 400 Museen und sieben Welterbestätten liegen in der Ukraine. Kulturschätze sind seit einem Jahr ebenso bedroht wie Künstler, die in Mecklenburg-Vorpommern Zuflucht gefunden haben. Theater, Vereine, Chöre oder Hochschulen unterstützen Künstlerinnen und Künstler im Land und sammeln bei Benefizaktionen Spenden für die Menschen in der Ukraine. Ein weiterer Aspekt der Hilfsprojekte: ukrainische Kunstwerke vor der Zerstörung zu retten.
Lichtinstallation als Zeichen gegen den Krieg
"Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen": Im März 2022 leuchtete dieser Satz an der Fassade des Kulturhaus Mestlin in flirrendem Hellblau. Als Lichtinstallation des international bekannten Künstlers Herbert Hundrich zu lesen. "Dieser Satz, so pathetisch er sich auch im ersten Moment anhört, sagt im Grunde genommen, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, Frieden zu halten."
Einen Tag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war die Idee zu der Installation zusammen mit Susanne Reichert und Peter Enterlein vom Verein "Denkmal-Kultur-Mestlin" entstanden. Emotional war die "Licht-an-Party": "Ich muss schon sagen, dass mir die Tränen liefen", so Hundrich im Interview mit NDR 1 Radio MV. An dem Kunstprojekt beteiligten sich zahllose Vereine, von der Freiwilligen Feuerwehr über die Bibliothek bis hin zum Warnow-Chor, alle machten mit.
Finanzielle Hilfen für Künstler aus der Ukraine
Hilfen für ukrainische Künstlerinnen und Künstler wurden vom Land Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung gestellt: ein Residenzprogramm, in dessen Rahmen bislang 15 Stipendien in Anspruch genommen worden sind, wie ein Sprecher auf NDR-Anfrage mitteilt. Vom Budget für die Künstlerresidenzen, für die insgesamt 50.000 Euro eingeplant waren, wurden 20.300 Euro vergeben. Viele Künstlerinnen und Künstler in Mecklenburg-Vorpommern zeigten sich seit dem Beginn des Krieges solidarisch und betroffen. Im Foyer des Landestheaters Neustrelitz las der Schauspieler Felix Erdmann im März 2022 aus Astrid Lindgrens Kriegstagebuch "Die Menschheit hat den Verstand verloren".
"Peter und der Wolf" für ukrainische Kinder in Schwerin
Über 10.000 Euro spielte allein das Theater Vorpommern mit Benefizkonzerten ein, die Spenden gingen an den Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern. Für diesen sammelten auch am Mecklenburgischen Staatstheater Künstler und Künstlerinnen Spenden. Zu einem Kinderkonzert in das Große Haus in Schwerin wurden im Frühjahr 2022 rund 30 ukrainische Kinder eingeladen. Auf dem Programm stand Sergej Prokofjews "Peter und der Wolf", auf einer Märchenebene passend zur aktuellen Situation, meinte Generalintendant Hans-Georg Wegner: "Da gibt es den kleinen cleveren Jungen, der den großen, bösen Wolf überlistet und siegreich davonzieht, mit dem gefangenen Wolf."
Am Jahrestag des russischen Angriffs am 24. Februar lesen im Theatercafé Schauspieler und Schauspielerinnen Texte ukrainischer Autoren und Autorinnen. Zur musikalischen Lesung "Der Wert eines Gedichts steigt im Winter" wird die Ukrainerin Svitlana Nikoronova erwartet. Sie wird auf der Bandura spielen, einer ukrainische Laute.
Benefizkonzert zum Jahrestag
Auch an der Rostocker Hochschule für Musik und Theater (hmt) wird für ein weiteres Benefizkonzert am Jahrestag zugunsten ukrainischer Krankenhäuser in den Kriegsgebieten geprobt. Bereits im März 2022 hatte der aus der Ukraine stammende Dozent Oleksiy Kushnir ein Benefizprogramm mit auf die Beine gestellt. Nun bereitet er die Studentin Yarolsava Osadcha für den Auftritt vor. Die junge Pianistin floh zusammen mit ihrer Mutter vor elf Monaten aus dem umkämpften Kiew nach Rostock: "Wenigstens kann ich Klavier spielen, um das Geld zu sammeln und irgendwie zu helfen", sagt Yarolsava Osadcha und erzählt weiter: "Für mich war es immer wichtig, weiter zu studieren und was Neues zu lernen. Und deswegen bin ich sehr dankbar für diese Möglichkeiten."
Ukrainische Studierende in Rostock
Seit 2006 lehrt der gebürtige Ukrainer Oleksiy Kushnir in Rostock. An der hmt sind seit Kriegsbeginn elf Studierende untergekommen, denen wie Yarolsava Osadcha eine Fortführung ihrer Ausbildung ermöglicht werden konnte, erzählt der Dozent: "Das ist eine unglaublich große Leistung von der Hochschule, denn unsere Hochschule ist nicht so groß."
Kunstwerke nach Deutschland gerettet
In der Kunsthalle Rostock führt die ukrainische Kunsthistorikerin Maryna Streltsova Besucher durch Ausstellungen. Seit April ist sie in Deutschland. Mit ihrer Flucht brachte sie auch ukrainische Kultur in Sicherheit: "Wir haben fast 60 Werke, darunter Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen nach Paderborn mitgebracht. Unter sehr, sehr anstrengenden Umständen - direkt aus Charkiw, aus Kiew und einigen anderen Städten", berichtet Maryna Streltsova.
Ost-West-Unterschied bei der Bewertung des Krieges
Mit den geretteten Werken kuratierte sie zwei Ausstellungen, die in Nordrhein-Westfalen auf großes Interesse stießen. In Paderborn, so sagt die Kunsthistorikerin, habe niemand den Völkerrechtsbruch Russlands relativiert, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen begegne ihr öfter eine verständnisvollere Haltung zur Positionen der russischen Regierung. "Für mich ist es Wahnsinn, weil die Ukraine nicht Russland angegriffen hat. Das hat Russland gemacht. Dann verstehe ich das nicht. Aber Menschen hier sagen, wir möchten doch auch Russland hören", so Streltsova über ihre Erfahrungen.
Auch wenn sie in Rostock herzlich aufgenommen wurde und dafür sehr dankbar sei - Maryna Streltsova hält anscheinend unparteiisches Abwägen für falsch: "Wir müssen über den ideologischen, kulturellen Krieg sprechen. Für Putin ist das sehr, sehr wichtig, weil er die Ukraine als Teil von Russlands eigener Kultur und geistigem Raum betrachtet. Wir als Ukraine möchten der Welt zeigen, dass wir eine unabhängige Nation sind. Dass wir unsere eigene Sprache haben, unsere eigene Geschichte und Kunst und Kultur", betont die Kunsthistorikerin.
Nachrichten aus Heimat schwer zu ertragen
Vor dem Krieg arbeitete Maryna Streltsova, die ursprünglich aus dem Donbass stammt, als Wissenschaftlerin am Kiewer Nationalmuseum. Sie hält Kontakt, hilft aus der Ferne mit ihrer Expertise aus. Doch Nachrichten aus der Heimat seien oft kaum zu ertragen: "Jeden Tag wachst du auf und liest diese Nachrichten. Zum Beispiel habe ich gestern eine Publikation von einem bekannten ukrainischen Künstler gelesen. Er hat sein Atelier oder sein Büro in Bachmut im Donbass. Dieses Büro wurde gestern verbrannt, wegen des Raketenangriffs."
Maryna Streltsova hofft, dass der Krieg bald endet und alle wieder zurückkehren können, ebenso wie die junge Pianistin Yarolsava Osadcha. Beim Rostocker Benefizkonzert am Jahrestag des militärischen Angriffs auf die Ukraine wird sie ein Stück des ukrainischen Komponisten Sergei Bortkiewicz spielen, der Titel: "Ein Traum".