Ukrainischer Künstler Artem Volokitin nutzt Malen als Therapie
Die NDR Dokumentation "Zwischen Exil und Front" porträtiert ukrainische Künstler*innen. Darunter den Maler Artem Volokitin, der aus Charkiw floh. Wie geht es ihm ein Jahr nach dem russischen Angriff?
Im Februar 2022 geschah, was lange Zeit unmöglich schien: ein Angriffskrieg in Europa, die russische Armee überfiel die Ukraine. Für alle Menschen in der Ukraine eine Katastrophe - auch für die Kunst- und Kulturszene. Einige Künstlerinnen und Künstler sind ins Exil gegangen. Andere versuchen, in ihrer Heimat auch in Kriegszeiten irgendwie weiterzuarbeiten.
Die NDR Dokumentation "Zwischen Exil und Front" fragt: Wie geht es ukrainischen Kulturschaffenden ein Jahr nach dem Beginn des Angriffskrieges? Der Film porträtiert Künstlerinnen und Künstler in der Ukraine und in Deutschland. Darunter der Maler Artem Volokitin, der 2015 auf der Biennale in Venedig vertreten und im Begriff war, gerade durchzustarten, als die Bomben sein Atelier in Charkiw zerstörten.
Flucht aus Charkiw
Die ersten Bilder der Dokumentation sind von Anfang März 2022. Eine Familie auf der Flucht, so wie Millionen Ukrainerinen und Ukrainer seit Beginn des Krieges. Der Mann am Steuer ist der Künstler Artem Volokitin, der mit Frau und fünf Kindern aus Charkiw flieht. Ein Abschied auf Zeit sollte es sein. "Ich hätte nicht gedacht, dass es für so lange sein würde. Ich dachte, vielleicht für ein paar Tage", erzählt Artem Volokitin. "Jetzt lebe ich immer noch in dem Glauben, dass ich vielleicht nicht morgen, aber doch übermorgen nach Hause kann. So lebe ich seit einem Jahr."
Nach einer 15-tägigen Odyssee quer durch Europa landet die Familie in Potsdam. Wegen seiner minderjährigen Kinder ist Artem vom Wehrdienst befreit. Sie sind in Sicherheit. Seine Bilder aber musste der Künstler in Charkiw zurücklassen. Nur ein unfertiges hat er auf der Flucht mitnehmen können: "Viele meiner Gemälde lagern in Sammlungen und Museen. Aber meine jüngste Arbeit ist noch in meinem Atelier. Alles, was ich davon habe, ist ein Handyfoto", sagt Volokitin.
Artem Volokitin: Malen als Therapie
Ein knappes Jahr später. Wir treffen Artem wieder, begleiten ihn in sein Studio. In Potsdam fand er Unterstützer und Anschluss an die lokale Kunstszene. Er mietete sich ein Studio in diesem alternativen Kulturzentrum und er fing wieder an zu malen.
"Das war mir sehr wichtig, dass ich nicht aufhöre zu arbeiten, nachdem ich die Ukraine verließ", berichtet der Künstler. "Ich habe ein unvollendetes Bild mitgenommen und habe hier weitergemacht. Für mich ist das wie eine Therapie. Wenn ich nicht male, spüre ich den Schmerz über das, was in der Ukraine geschieht, noch viel stärker."
Seine Kunst aber hat sich verändert. Früher malte Artem Volokitin am liebsten Explosionen. Diese Bilder brachten ihm großen Erfolg. Er hatte weltweit Ausstellungen, nahm an der Biennale in Venedig teil. Seine neuen, im Exil entstandenen Gemälde, sind sanfter als seine frühen Werke. "Nein, das sind keine Explosionen mehr. Es sind Wolken und Sonnenstrahlen. Aber sie stecken trotzdem voller dramatischer Bewegung und starkem Ausdruck", erklärt er.
Eingelebt, doch die Heimat fehlt
"Ich habe aufgehört, Explosionen zu malen, weiI ich am eigenen Leib erfahren habe, wie es sich anfühlt, welche zu erleben. Wenn ich diese Erfahrung schon früher gemacht hätte, hätte ich wahrscheinlich schon früher aufgehört, sie zu malen." In Potsdam läuft es gut für die Familie. Sie sind zusammen, leben in einer Art Wohngemeinschaft mit den Eigentümern eines alten Bauernhauses.
Die Kinder, alle künstlerisch aktiv, haben Anschluss durch Schule und Hobbies. Artems Frau Tetiana Malinovska, ebenfalls Malerin, arbeitet auch wieder. Sie scheinen sich eingelebt zu haben. Die Heimat ersetzen, kann die Kunst nicht. Doch dieser Familie scheint sie dabei zu helfen, mit dem Heimweh umzugehen. "Wir haben uns noch nicht ganz eingewöhnt. Wir sind mittendrin in einem Prozess, der lange dauern wird", erzählt Tetiana Malinovska.
"Manchmal denken wir darüber nach, für eine kurze Zeit in die Ukraine zu gehen, wenn es nicht so gefährlich wäre, um wieder ein bisschen Heimat zu tanken. Wir haben viel Unterstützung hier. Wir haben unsere Kunst, die Kinder lernen die Sprache, beruflich läuft es, wir haben die Musik." Doch die Heimat fehle ihnen. Mit diesem Gefühl müsse sie erst lernen umzugehen. "Und das gelingt uns mal mehr mal weniger gut."
Bilder voller Licht und Hoffnung
"Viele Menschen in der Ukraine sind in einer wirklich schwierigen Situation. Ihnen gehts nicht so gut wie uns", fügt Artem Volokitin hinzu. "Wir haben hier Arbeit, wir haben Unterstützung. Für meine Familie, meine Freunde, meinen Bruder und seine Familie ist es gerade sehr hart. Sie leben in der Nähe von Charkiw, es fehlt Licht, es fehlt fließendes Wasser. Und ich bin dankbar, dass ich hier bin und meine Bilder malen kann."
Seine neuen Bilder werden in diesem Jahr auf mehreren Ausstellungen gezeigt. Er ist produktiv im Exil. Eine Zukunft für sich und seine Familie will er sich fern der Heimat aber trotzdem nicht vorstellen: "Ich will, dass meine Kinder anders aufwachsen. Nicht in einem Land, das ihnen Zuflucht gewährt hat, sondern in der Ukraine, in einem Land, das den Krieg gewonnen hat, das sich erholt und wieder aufgebaut wird, das mit ihnen zusammen wächst und sich entwickelt. Das ist mein Traum."
Seine Hoffnung will Artem auch in seiner Kunst ausdrücken. Bilder malen, die positive Energie versprühen, das hat er sich seit Beginn des Krieges vorgenommen: "Meine früheren Arbeiten waren oft so düster und ernst - aber diese neuen Bilder stecken voller Licht und Hoffnung. Das hat etwas damit zu tun, was in meinem Land vor sich geht."