"Zwischen Exil und Front": Im Zusammenhalt Stärke finden
Die NDR Dokumentation "Zwischen Exil und Front" porträtiert ukrainische Künstlerinnen und Künstler. Wie geht es ihnen ein Jahr nach dem russischen Angriff? Ein Gespräch mit Film-Autorin Yasemin Ergin.
Der Film "Zwischen Exil und Front" wird am Sonntagabend um 23.50 Uhr im Ersten und am Montagabend um 22.45 Uhr im NDR Fernsehen zu sehen sein. Die Dokumentation porträtiert ukrainische Kulturschaffende - sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine.
Der Maler Artem Volokitin war gerade im Begriff als Künstler durchzustarten, als die Bomben sein Atelier in Charkiw zerstörten. Zu Wort kommen auch Musiker*innen des Kyiv Symphony Orchestra und die Tänzerin Daniella Preap, die im Hamburger Exil erstmal nur Scham und Schuld empfunden hat, weil sie in Sicherheit ist. Yasemin Ergin ist eine der Autorinnen des Films. Besonders die Geschichte eines Theaters in Kiew hat sie beeindruckt.
Yasemin, wen habt Ihr getroffen? Wen hast Du persönlich kennenlernen können?
Yasemin Ergin: Ich habe die Geschichte des Malers Artem Volokitin gedreht. Ihn und seine Familie habe ich persönlich getroffen. Sie leben inzwischen seit einem knappen Jahr in Potsdam. Er ist Maler und seine Frau auch. Die ganze Familie ist künstlerisch und musikalisch aktiv. In der Ukraine haben wir auch gedreht. Der eine Kollege, der vor Ort ist, hat für uns zum einen den Fotografen Alexander Chekmenev getroffen. Er ist ein Dokumentarfotograf, der seit Beginn des Krieges seine Porträts wirklich weltweit ausstellt und in den internationalen Magazinen zeigt, der aber parallel auch Fotos versteigert und aus den Erlösen Hilfsprojekte unterstützt. Zum anderen hat er einen Theaterregisseur getroffen, der in seinem Theater in der Ukraine weiterhin die Stellung hält. Und das Publikum ist diesem Theater auch weiterhin treu.
Aus der Ferne ist es schwer, sich das vorzustellen, wie man es unter diesen so schwierigen Umständen schafft, sich weiter der Kunst zu widmen. Wie hast Du die Künstlerinnen und Künstler erlebt? Wie gehen sie damit um?
Ergin: Bei den Künstler*innen, die hier im Exil sind - dass sind zum Beispiel der bereits genannte Artem Volokitin, die Tänzerin Daniella Preap und das Kyiv Symphony Orchestra -, die sind natürlich dankbar und froh, dass sie ihre Kunst jetzt hier weiterführen können, dass sie in Sicherheit sind. Beeindruckend ist insbesondere, dass die Kulturschaffenden vor Ort auch weiterhin daran festhalten. Besonders beim Theater hat mich das wirklich beeindruckt. Nicht nur, dass da die Schauspieler*innen proben und die Theaterregisseure ihre Arbeit machen, sondern dass das wirklich gut besucht ist. Wir haben da Bilder gesehen, die unsere Korrespondenten vor Ort gedreht haben, wo sich der Theatersaal füllt, Menschen draußen zusammenstehen und sich auf diese Vorstellung freuen.
Der Theaterregisseur erzählt dann aber im Interview, dass das inzwischen ganz normal ist, dass Vorführungen von Luftalarm unterbrochen werden, dass dieses Theater auch nur deshalb geöffnet bleiben darf, weil sie einen direkten Zugang zu einem Metro-Bunker, also zu einem Metro-Tunnel, haben. Und er erzählt, dass es schon gelegentlich vorkommt, dass dann Stücke unterbrochen werden, alle gemeinsam in diesen Luftschutzraum gehen und manchmal die Schauspieler*innen noch mitgehen und die Leute ein bisschen unterhalten. Wenn dann der Alarm vorbei ist, gehen alle wieder zurück in den Saal. Das fand ich schon sehr beeindruckend. Aber gleichzeitig sagt der Regisseur: Das ist meine Rettung, dass das hier so weitergehen kann.
Kann man sagen, dass in dieser Gemeinschaft eine gemeinsame Zuversicht entsteht?
Ergin: Schon in gewisser Weise. Das ist wirklich das, was in unterschiedlicher Form eigentlich alle unsere Protagonist*innen sagen, dass dieser Angriffskrieg ihnen auch gezeigt hat, dass sie etwas haben, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Die Formulierung fiel ein-, zweimal. Dass sie eine Kultur haben, die sie zum Teil vielleicht ein bisschen vernachlässigt haben, hat zum Beispiel eine Protagonistin gesagt. Dass man jetzt durch diesen Krieg eben auch lernt, die eigene Kultur mehr wertzuschätzen, mehr zu schützen, zusammenzuhalten - und in diesem Zusammenhalt Stärke zu finden.
Das Gespräch führte Raliza Nikolov.