Tochter von Lucian Freud: "Ich erinnere Bitterkeit und Schmerz"
Die Tochter von Maler Lucian Freund erzählt in der dritten Staffel des NDR Kultur True-Crime-Podcasts "Kunstverbrechen", wie hart es ihren Vater getroffen hatte, als sein Portrait von Francis Bacon 1988 gestohlen wurde. Podcast-Host Torben hat Esther in London besucht.
Esther Freud lebt mit ihrer Familie in Dartmouth Park, einem ruhigen Viertel im Norden von London. Die Häuser hier sind schick, aber nicht nobel. Viel beiger Backstein, weiße Erker. Das Haus der Freuds ist ein dreistöckiges Einfamilienhaus mit hohen Fenstern zur Straße und weißem Stuck an der Fassade.
Es öffnet Esthers Sohn Albi. Nach einer kurzen Verwirrung, weil Esther den Termin vergessen hatte, geht es hoch in ihr Büro. Es ist ein Feiertag in England, daher hat sie sich freigenommen, sonst würde sie jetzt gerade schreiben - wie jeden Morgen. "Ich habe von meinem Vater eine ziemlich strikte Arbeitsmoral übernommen. Er zeigte uns als Kindern, wie glücklich es machen kann, wenn man jeden Tag an dem arbeitet, was man liebt. Das hat mich sehr inspiriert", erzählt Esther.
Essay über Urgroßonkel Sigmund Freud
Erst vor wenigen Wochen hat Freud ein Essay zu ihrem Urgroßonkel, Sigmund, veröffentlicht. Entgegen erster innerer Widerstände von ihr: "Ich sagte damals, dass ich nichts zu Sigmund sagen könne, weil in meiner Kindheit nie über ihn gesprochen wurde. Aber dann dachte ich, dass seine Abwesenheit in meiner Familie auch ein spannendes Thema ist."
Viel lieber schreibt Esther Freud aber Romane und Theaterstücke. Der Durchbruch gelang ihr 1995 mit ihrem autobiografisch geprägten Debütroman "Marrakesch". Es handelt von einer Hippiemutter, die in den späten 1960er-Jahren mit ihren Töchtern in Marokko ein freieres Leben sucht. Der Roman wurde einige Jahre später mit Kate Winslet in der Hauptrolle verfilmt. Auch Esther Freuds nächster Roman wird autobiografisch geprägt sein: "My sister and other lovers", er soll Mitte 2025 erscheinen.
Als nächstes gibt es eine kurze Führung durch ihr Haus, sehr spannend, da viel Kunst von Esthers Vater Lucian Freud an den Wänden hängt.
Kein traditionelles Familienleben mit Vater Lucian Freud
Esther Freud ist eines von 13 Kindern vom Maler Lucian Freud, der zu Lebzeiten viele Affären und mehrere Ehen hatte. Esther ist ihrem Vater erst recht spät nähergekommen. "Ich bin nicht mit ihm aufgewachsen, weil er kein traditionelles Familienleben führte. Ich bin mit meiner Mutter und meiner Schwester aufgewachsen. Wir haben ihn schon als Kinder regelmäßig besucht, er hat in seinem Atelier gelebt", erzählt sie.
Die gemeinsame Begeisterung für die Kunst verband die beiden später. Wobei Esther ihren Vater Lucian als eher zurückhaltenden Künstler beschreibt. "Er hat mit mir nicht viel über seine Kunst gesprochen. Er hatte eine unglaubliche Fähigkeit, sich auf jede Person einzeln einzustellen und ganz individuell mit ihr zu kommunizieren. Deshalb bekam jeder einen anderen Lucian - und ich bekam den, der zu mir passte. Aber er hat nicht über seine Kunst philosophiert. Er hat es nicht analysiert, und als ich hörte, wie Leute das taten, dachte ich ... ich weiß nicht, ob das wahr ist ... Zum Beispiel wenn die Leute gesagt haben: 'Na klar, die Eier haben da etwas mit der Gebärmutter zu tun oder mit diesem und jenem ...' Ich dachte dann, vielleicht, vielleicht nicht. Ich meine, er hat nie so geredet. Vielleicht hat er es mit anderen Menschen getan, ganz bestimmt nicht mit mir", berichtet Esther.
Hoffnung auf Fund des Gemäldes ihres Vaters
Eine besondere Erinnerung weckt in Esther Freud die Zeit, als ein Portrait von Francis Bacon 1988 in Berlin gestohlen wurde, das ihr Vater gemalt hatte. Zur Eröffnung der Ausstellung war damals sie gegangen, da ihr Vater nicht zu seinem Geburtsort und dem Ort der Vertreibung seiner jüdischen Familie zurückkehren wollte. "Ich erinnere mich an Bitterkeit und Schmerz, mit dem er darüber gesprochen hat. Er war enttäuscht, dass die Menschen, die sich um das Bild kümmern sollten, es vernachlässigt hatten. Als das Gemälde gestohlen wurde, war er in seinen 60ern. Es ist traurig, dass es nicht zu Lebzeiten meines Vaters aufgetaucht ist, aber ich denke und hoffe, dass es irgendwann im Laufe meines Lebens wieder auftauchen wird. Das hoffe ich wirklich sehr", so Esther.
Die ganze Geschichte hinter dem gestohlenen Freud Gemälde, und ob es noch zu finden ist, gibt es im NDR Kultur True-Crime-Podcast "Kunstverbrechen - Die Suche nach Bacons Kopf" zu hören. Alle Folgen gibt es in der ARD Audiothek.