Tabuthema Blut - Darstellungen in der Kunst
Blut ist Symbol für das Leben und den Tod - und ein Tabuthema, gerade die Menstruation. In der Kunst wurde das vielfach aufgegriffen, zum Teils äußerst provokant, um auf ein gesellschaftlich verdrängtes Thema aufmerksam zu machen.
Kein Künstler hat so viel Blut verbraucht, wie Hermann Nitsch: In seinem "Orgien-Mysterien-Theater" ließ der Wiener Aktionist seine weißgewandeten Jünger in Tierkadavern wühlen, gekreuzigte nackte Menschen herumtragen, und Hektoliter Blut über sie ausschütten. Der Leiter des österreichischen Nitsch Museums Michael Karrer ordnet die Kunst ein: "Wenn das Blut in den Mund geschüttet wird und den nackten Körper hinuntergleitet, dann geht es nicht darum, dass man den Ekel wegleugnet, sondern dass man den Ekel aufzeigt. Dass man diese ungeheuerliche Energie aufzeigt, die in solchen Situationen gegeben ist."
Blut in christlichen Darstellungen
Mit dieser "ungeheuerlichen Energie" provozierte Nitsch in den 1960er-Jahren das halbe Land. Später landete er damit am Wiener Burgtheater. Gegen das Blut, das die christliche Malerei Jahrhundertelang fließen lässt, wirken Nitschs Aktionen allerdings wie Laientheater: Heilige werden von Pfeilen durchlöchert, mit glühenden Eisen gefoltert, geköpft, gevierteilt, Frauen die Brüste abgeschnitten - das Blut fließt in Strömen.
Das Blut des gekreuzigten Jesus wird von Gläubigen in Kelchen aufgefangen, um es zu trinken und den Glauben zu stärken! Bis heute. "Als Priester dürfen wir die sogenannten Wandlungsworte über Brot und Wein sprechen", erklärt Pfarrer Thomas Rauch aus Kempten. "Es geschieht dieses große Wunder, dass aus dem kleinen Stückchen Brot der Leib Christi wird, aus dem Wein das Blut Christi."
190er: Sichtbar machen des verdrängten Frauenlebens
In den 1970er-Jahren bringt die feministische Frauenbewegung endlich Licht ins mystisch-patriarchale Blut-Geraune: Feministische Künstlerinnen verwandeln das irrational aufgeladene Blut in ein rationales Material, mit dem sie - oft am eigenen Körper - aktuelle gesellschaftliche Missstände wie Sexismus, Rassismus und Gewalt thematisieren und ihre Selbstermächtigung feiern.
1971 fotografiert Judy Chicago eine Frau, die sich gerade einen blutigen Tampon aus der Scheide zieht. Chicago macht erstmals ein Stück gesellschaftlich verdrängtes Frauenleben sichtbar. Das Bild wurde zur Ikone feministischer Kunst. Judy Chicago sagte über ihre Kunst: "Ich glaube nicht, dass Kunst die Welt verändern kann. Ich glaube, dass Kunst die Menschen erziehen, inspirieren und zum Handeln befähigen kann."
Künstlerinnen erheben ihre Stimme - mit Kunst
Ana Mendieta führt in verstörenden Fotografien blutiger Frauenkörper Gewalt an Frauen vor Augen. Valie Export kommentiert die marktbeherrschenden Wiener Aktionisten mit ihrem farbtropfenden Action Painting, indem sie auf eine jungfräulich weiße Mauer ihr Menstruationsblut tropfen lässt.
Künstler und Künstlerinnen laden Blut mit immer neuer politischer Bedeutung auf: In der Hochzeit von AIDS wird es zum Symbol tödlicher Gefahr. 2015 macht Tameka Norris die Unsichtbarkeit Schwarzer Frauen sichtbar: In einer Galerie schneidet sich die Schwarze Künstlerin in die Zunge, streicht mit ihr die weiße Galeriewand entlang und hinterlässt eine Blut-Spucke-Spur, in der sich die rassistische Blutspur gegen Schwarze Frauen manifestiert.
Auch im Jahr 2024 noch Tabuthema
In Deutschland ist aktuell - im Jahre 2024! - das Thema "Menstruationsblut" angesagt. Einige Künstlerinnen malen damit. Susanne Schulz etwa stellt damit auf Bestellung Porträts nach Fotos her: "Wenn ich das Blut bekommen habe, dann gestalte ich hier zuhause noch mal einen richtigen, feierlichen Raum dafür. Das ist ein liebevolles Ritual. Es geht darum, dass die Frau sich ehrt - oder ich die Frau in dem Augenblick ehre", so die Künstlerin Schulz.
Um das Thema zu enttabuisieren, reiht eine Ausstellung in Berlin klinisch sauber Menstruations-Objekte aneinander. In Lübeck soll ein Tupfer Menstruationsblut auf Klopapier und ein kurzes Statement Bewusstsein schaffen. Das wirkt so bemüht korrekt, dass es schmerzt.
Pipilotti Rist spielte 1993 mit Thema in Video "Blutclip"
Vermutlich kann das nur eine Italienerin derart spielerisch und mitreißend, wie Pipilotti Rist in ihrem dreiminütigen Film "Blutclip" von 1993: Da verfolgt eine Kamera fasziniert das Blut, das einer nackten Frau zwischen den Schenkeln hinabläuft, sich wie ein Flußdelta verzweigt, von ihrer Hand verwischt, von ihrer Zunge geschmeckt wird - bis die Kamera plötzlich wild um die Frau kreist, die jubilierend im All schwebt, um Mond und Sonne kreist - die Frau: ein selbstverständlicher Teil von Allem.