Der Künstler Jonathan Meese steht mit seiner Mutter Brigitte Meese vor zwei seiner Bilder, die in rot gehalten sind. © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka Foto: Bernd von Jutrczenka
Der Künstler Jonathan Meese steht mit seiner Mutter Brigitte Meese vor zwei seiner Bilder, die in rot gehalten sind. © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka Foto: Bernd von Jutrczenka
Der Künstler Jonathan Meese steht mit seiner Mutter Brigitte Meese vor zwei seiner Bilder, die in rot gehalten sind. © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka Foto: Bernd von Jutrczenka
AUDIO: "Jeden Tag Muttertag" - Brigitte "Mami" Meese im Porträt (5 Min)

"Jeden Tag Muttertag" - Brigitte "Mami" Meese im Porträt

Stand: 12.05.2024 06:52 Uhr

Mutter, Managerin, Performerin und Muse: Brigitte Meese ist die Frau hinter dem bekannten Gegenwartskünstler Jonathan Meese.

von Alexandra Friedrich

Berühmt als "die Tochter von" oder "die Frau von" - das sind ja viele. Eher seltener sind diejenigen Frauen, die als "Mutter von" bekannt werden. So aber ist es bei Brigitte "Mami" Meese. Ihr Sohn, Jonathan gilt als einer der wichtigsten Gegenwartskünstler. Malerei, Zeichnung, Graphik, Skulptur, Performances, Theater- und Operninszenierungen - sein Schaffen ist sehr breit. Und fast immer dabei ist sie: Brigitte Meese - als Mutter, Managerin, Performerin und Muse.

Ein besonderes und sehr verschiedenes Gespann

Was für ein Duo! Der Künstler mit den langen, dunklen Locken und viel Bart, großen Gesten und überbordenden Emotionen. An seiner Seite diese zierliche, ordentliche Frau mit silbernem Kurzhaarschnitt, die scheinbar nichts aus der Fassung bringen kann. "Ich bin im Grunde irgendwo kein sehr sentimentaler Mensch, sondern ein nüchterner Mensch", beschreibt sich Brigitte Meese selbst. "Ich meine, ich habe natürlich meine Gefühle, aber ich kann die auch ein bisschen zurückstellen." Ihr Sohn beschreibt sie aus einem anderen Blickwinkel: "Meine Mutter ist eine Ultra-Pragmatikerin. Und ich kann diese Nuss nicht knacken. Ich versuche es immer wieder, aber ich komme da nicht ran."

Die Mutter als unerschöpfliche Inspirationsquelle

Brigitte Meese ist für ihren Sohn eine Art Obsession, Objekt einer Langzeitstudie und Kunstprojekt: "Ich habe so viele Fotos von meiner Mutter gemacht, die noch kein Mensch kennt", erzählt Jonathan Meese. "Ich kostümiere meine Mutter auch. Sie kommt in den Theaterstücken vor. Ich zeichne sie, ich male sie. Also meine Mutter ist eine unglaubliche Projektionsfläche für mich. Unerschöpfliches Material!"

Der Künstler Jonathan Meese steht mit seiner Mutter Brigitte Meese vor zwei seiner Bilder, die in rot gehalten sind. © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka Foto: Bernd von Jutrczenka
AUDIO: Das ganze Interview mit Brigitte Meese zum Hören (26 Min)

Brigitte Meese macht mit und steht hinter ihrem Künstlersohn - auch wenn sie nicht all seine Aktionen schätzt, wie sie verrät: "Kinder kann man nicht ablegen, zur Seite legen. Sondern man hat sie und man freut sich, aber man hat eben auch Kummer oder Ängste oder grrrrr...."

Auszug nach Japan - damals unkonventionell

Auch für Jonathans Musikprojekte lässt sich Brigitte Meese verpflichten. 'Liebe kennt keine Angst', singt sie. Und auch sie kennt offenbar keine Angst. Und schien schon immer furchtlos. Mit 26 verließ sie Deutschland und ging nach Tokio. In den 60er-Jahren war das ungefähr so, wie auf einen anderen Planeten zu ziehen, eine andere, weit entfernte Welt. In der sie sich aber schnell zurecht fand. Sie arbeitete im Büro ihres Schwagers, verliebte sich in einen Briten und bekam mit ihm drei Kinder. Zuerst die Tochter, ein Jahr später einen Sohn und 8 Jahre später kam der Nachzügler Jonathan zur Welt. Mit dem Arbeiten aufzuhören kam ihr nicht in den Sinn. "Das war sehr unkonventionell", berichtet sie. "Ich war von den verheirateten Frauen in meiner Umgebung die einzige, die gearbeitet hat. Aber ich habe seit meinem Sprachstudium immer gearbeitet. Im Grunde war das gar nicht so schlecht. Ich habe mich im Büro von den Kindern und vom Haus befreit und ich habe mich mit den Kindern und dem Haus von der Firma befreit."

Ein Geburtstagsgeschenk veränderte das Leben

Zwei Kindermädchen unterstützten Brigitte Meese und sie mochte das Leben in Japan. Trotzdem verließ sie 1973 das Land und ihren Mann, um nach Ahrensburg in Schleswig-Holstein zu ziehen. Alleinerziehend und berufstätig in der norddeutschen Provinz in den 1970er-Jahren. Die drei Kinder sprachen nur Englisch und Japanisch, kein Deutsch. Es war eine Herausforderung. Dennoch: "Ich hatte eigentlich nie Angst, ob ich das schaffe. Irgendwie hat meine Fantasie nicht so weit gereicht", erinnert sich Brigitte Meese.

Sie brachte die Kinder durchs Abitur, die beiden Älteren gingen in die Banklehre, waren schnell aus dem Haus. Nur das Nesthäkchen wusste erst mal nichts mit sich anzufangen. Jonathan hing nach dem Abi in seinem Zimmer rum, hörte Musik und las. Bis zu seinem 22. Geburtstag, "an dem ich ihn fragte, was er sich denn wünschte", berichtet Brigitte Meese. "Er sagte: Eigentlich einen großen Zeichenblock und Malsachen. In kürzester Zeit, in einem halben Jahr, hatte er zwei Staffeleien und malte ununterbrochen. Da gab es nichts anderes als die Kunst. Obwohl er nicht wusste, was Kunstakademien waren. Auch ich wusste nicht, dass es die gab. Wir wussten nichts über Künstler außer über Picasso."

Jeden Tag Muttertag

Brigitte Meese arbeitete inzwischen nicht mehr. Hatte also viel Zeit und Tatendrang, diese Bildungslücken mit Jonathan zu schließen. So hätten sie und Jonathan gemeinsam mit sehr viel Gelächter und mit sehr viel Neugier den Eintritt in die Kunst gefunden, sagt sie. Das ist jetzt mehr als 30 Jahre her. Heute leben die beiden gemeinsam mit Familie und Wahlfamilie in Berlin. Nach einem gemeinsamen Theaterprojekt in Wien - "Muttersöhnchen im Kunstglück", arbeiten sie zurzeit an einem neuen Musikalbum, das im Herbst erscheinen soll. Jonathan Meese und seine Mutter feiern jeden Tag Muttertag. "Wir streiten wie verrückt, jeden Tag", sagt der Sohn, "das ist Muttertag: streiten - um sich dann wieder zu versöhnen."

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Der Künstler Jonathan Meese gestikuliert in seinem Atelier am Prenzlauer Berg in Berlin und hält sich die Hände an den Kopf und schaut erschrocken. © Bernd von Jutrczenka/dpa-Bildfunk Foto: Bernd von Jutrczenka

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