TikTok und Instagram: Politik im Wettbewerb um Reichweiten
Die Social-Media-Plattformen TikTok und Instagram haben angekündigt, ihren Algorithmus zu ändern und weniger politische Inhalte bei den Usern auszuspielen. Ist das eine gute Sache?
Vielen Erwachsenen ist TikTok mit seinen kurzen Videoschnipseln weitgehend fremd, doch unter jungen Leuten ist das Netzwerk extrem beliebt. Die AfD erzielt mit ihren Auftritten auf der Plattform große Reichweiten - vor allem bei jungen Leuten.
Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Schau keine Pornos - wähle nicht "Die Grünen", geh raus an die frische Luft, steh zu dir. Zitat aus einem TikTok-Video von Maximilian Krah (AfD)
Was der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah auf TikTok gepostet hat, mag auf den ersten Blick oberflächlich klingen - doch dahinter steckt eine perfide Strategie von Populisten. "Nachdem so ein Köder am Anfang gesetzt wird und ein sehr persönliches Thema angesprochen wurde, wird im Laufe des Videos eine Verbindung zur politischen Ebene hergestellt", sagt der Extremismus-Experte und Politikberater Johannes Hillje. Er hat die Social Media-Präsenzen von Politikern analysiert. "Es geht dramaturgisch vom Persönlichen zum Politischen über. Ich glaube, das ist ein Grund dafür, warum die AfD es schafft, so hohe Reichweiten zu erzielen. Weil sie erstmal die Zielgruppe mit Themen anspricht, die für sie persönlich relevant erscheinen."
Echte Männer sind rechts - echte Männer sind Patrioten - dann klappt's auch mit der Freundin. Zitat aus einem TikTok-Video von Maximilian Krah (AfD)
AfD erzielt größte Zugewinne bei jüngster Wählergruppe
Das Video wurde 1,4 Millionen mal aufgerufen. In anderen millionenfach aufgerufenen Videos spricht Maximilian Krah unter anderem vom "großen Austausch", teilt rechtsextreme Verschwörungserzählungen. Nirgendwo anders ist die AfD so schnell zu soviel Einfluss gekommen, denn der TikTok-Algorithmus begünstigt Desinformation und Hassrede. Das Soziale Medium scheint zum Ort für unsoziale Diskurse geworden zu sein.
Extremismus-Experte Johannes Hillje hat analysiert, dass Videos der AfD-Bundestagsfraktion auf TikTok durchschnittlich dreimal so oft aufgerufen wurden wie die aller anderen Fraktionen zusammen. Aber können Populisten das auch in Wählerstimmen ummünzen? "Die letzten Landtagswahlen in Bayern und in Hessen im vergangenen Jahr haben zumindest ergeben, dass die AfD bei der jüngsten Wählergruppe die größten Zugewinne hatte", so Hillje. "Von daher, glaube ich, gibt es da schon einen Zusammenhang." Die Mehrheit der User ist zwischen 16 bis 24 Jahre alt.
Demokratische Emotionalisierung als Gegengewicht
Doch auf TikTok formiert sich inzwischen Widerstand - auch unter jungen Leuten. Unter dem Hashtag #reclaimTikTok - zu Deutsch: "TikTok zurückgewinnen" - posten User eigene Videos, die den demokratischen Diskurs zurück auf die Plattform bringen wollen. Eine gute Idee, findet Johannes Hillje. Denn er wünscht sich mehr "demokratische Emotionalisierung", wie er sagt. Dabei gehe es nicht darum, die starken Affekte wie Wut, Angst und Zorn von den Radikalen zu kopieren. "Es geht darum, das emotionale Denken von Menschen mit wertebasierten Botschaften anzusprechen - auch mit einer direkten und persönlichen Ansprache."
TikTok schränkt Reichweite politischer Accounts ein
Selbst TikTok beunruhigt offenbar die Dominanz rechter Diskurse. Das Videoportal schränkte die Reichweite politischer Accounts ein. Denn von vielen Seiten droht dem Unternehmen Ungemach: Das US-Repräsentantenhaus will TikTok in den USA verbieten. Zu groß - die Nähe zu China. Und auch die EU-Kommission nimmt aktuell unter die Lupe, ob das Netzwerk genug für den Jugendschutz tut. Ähnliches bei Instagram: Der Meta-Konzern, zu dem das Soziale Bilder-Netzwerk gehört, kündigte vor Kurzem an: Politische Inhalte sollen nicht mehr durch den Algorithmus verbreitet werden.
Der Politikberater Johannes Hillje beurteilt das als Eingeständnis des Scheiterns. "Sie sind gescheitert, einen demokratischen Diskurs zu ermöglichen. Sie sind gescheitert bei der Bekämpfung von Desinformation und Hassrede", sagt Hillje. "Ich glaube aber, genau da müssen sie besser werden, und sie sollten das unbedingt, damit sie auch diesen demokratischen Diskursraum ermöglichen können, statt politische Debatten einfach per se zu unterbinden."
Politik kommt um Social Media nicht herum
Trotzdem bleibt Hillje dabei, dass die Politik nicht mehr um die sozialen Medien herumkomme. Auch Politiker anderer Parteien müssten sie nutzen. Karl Lauterbach, Markus Söder oder zuletzt Bundeskanzler Scholz haben dies vor Kurzem angekündigt. Der Extremismus-Experte wünscht sich, dass es noch mehr werden. Denn für jüngere Menschen sind TikTok, Instagram und Co. die wichtigste Informationsquelle.