TikTok will politische Inhalte eindämmen: "Es wird nicht funktionieren"
TikTok und Instagram haben angekündigt, ihren Algorithmus zu ändern und weniger politische Inhalte bei den Usern auszuspielen. Die Social Media-Professorin Hanna Klimpe ist skeptisch, ob das etwas bringt.
TikTok ist mit seinen kurzen Videoschnipseln eine der erfolgreichsten Social Media-Plattformen. Auch politische Inhalte erzielen eine große Reichweite, vor allem die AfD ist auf der Plattform besonders erfolgreich. Unter dem Hashtag #ReclaimTikTok wurde von Campact nun eine Kampagne gestartet, um TikTok quasi zurückzuerobern. Ein Gespräch mit Hanna Klimpe, Professorin für Social Media an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.
Frau Klimpe, auf der einen Seite haben wir eine rechtspopulistische Partei, auf der anderen Seite ein Videoportal, was eigentlich mal dafür gedacht war, dass junge Menschen Musikvideos nachspielen. Das liegt erstmal sehr weit auseinander - warum funktioniert das offenbar doch so gut zusammen?
Hanna Klimpe: Es funktioniert sehr gut, weil die AfD lange Zeit die einzige Partei war, die TikTok als Plattform überhaupt ernst genommen hat, und "Early Adopter" (frühzeitige Anwender) immer den Vorteil haben, dass sie leichter größere Reichweite erzielen als Gruppen, die sich erst später auf einer Plattform bewegen. Außerdem bietet sich TikTok durch diese kurzen, emotionalisierenden Videos besonders gut für populistische Inhalte an. Von daher liegt das gar nicht so weit auseinander, als man zunächst denken mag.
Die AfD-Fraktion hat da mehr als 400.000 Follower - die CDU ist mit 3.500 dabei. Haben andere Parteien da etwas völlig verschlafen?
Klimpe: Zum einen verschlafen, zum anderen gab es bei TikTok die datenschutzrechtlichen Bedenken, weswegen viele öffentlichen Institutionen nicht eingestiegen sind. Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass es einfach nicht möglich ist, Social Media-Plattformen zu ignorieren, sobald sie eine bestimmte Reichweite bei einer Zielgruppe haben. Diesem Irrglauben sind die anderen Parteien die letzten vier Jahre aufgesessen.
Das Populistische, der Empörungsfaktor, funktioniert dort gut. Was können die anderen Parteien dem entgegensetzen, was womöglich genauso funktionieren würde?
Klimpe: Man sieht ja zum Beispiel bei Fridays for Future, dass die auf TikTok auch sehr erfolgreich sind. Um eine gewisse Portion Populismus oder Emotionalisierung kommt man auf dieser Plattform nicht herum. Ich bin auch nicht sehr überzeugt, dass die vier Videos, die Herr Scholz mit seinem Team gestern auf seinem neuen TikTok-Account veröffentlicht hat, in der Form so funktionieren werden. Aber auch auf 90 Sekunden kann man einen demokratischen Inhalt intelligent rüberbringen.
Anstatt demokratiegefährdende Inhalte einzugrenzen, will TikTok jetzt politische Inhalte eindämmen. Ist das eine Kapitulation?
Klimpe: Es ist eine sehr bequeme Art, sich aus der Affäre zu ziehen in seiner Verantwortung als Plattform. Es wird vor allen Dingen nicht funktionieren. Wenn Sie sich eines der erfolgreichsten AfD-Videos von Maximilian Krah angucken, "Echte Männer sind rechts", braucht man nur ein paar Worte zu ändern, und dann ist das gar nicht per se ein politisches Video, sondern ein Lifestyle-Video. So funktionieren viele rechte Accounts auf TikTok. Wenn Sie zum Beispiel an diese traditionellen Rollenbilder denken, die letztlich auch auf ein identitäres Gesellschaftsbild hinauslaufen, sieht man, dass man sehr gut politische Inhalte transportieren kann, ohne dass es politisch aussieht. Das ist natürlich noch gefährlicher als ein Video, was direkt radikal extrem ist.
Politische Inhalte zu verbieten, würde also womöglich sowieso nicht funktionieren, sagen Sie. Würde aber trotzdem eine Chance verloren gehen, wenn man solche Inhalte komplett aus diesen Kanälen raushält, wo junge Menschen unterwegs sind?
Klimpe: Auf jeden Fall. Der größte Schaden entsteht da zum Beispiel bei Nachrichtenportalen, bei politischen Influencer*innen, die versuchen differenziert aufzuklären. Denn sobald man nicht mehr emotionalisiert, aber politische Begriffe verwendet, werden solche Sachen nicht mehr bevorzugt angezeigt. Ich sehe das zum Beispiel bei NGOs, mit denen ich auf Instagram zusammenarbeite, dass die das in ihrer Reichweite schon merken.
Die Kampagne #reclaimTikTok, zeigt, dass sich so etwas unter den Usern verselbständigt. Wie bewerten Sie das?
Klimpe: Das ist eine sehr sinnvolle Initiative, um erst einmal auf dieses Phänomen, wie einseitig TikTok zurzeit bespielt wird, aufmerksam zu machen. Auch um aus einem Gefühl der Ohnmacht und der Handlungsunfähigkeit rauszukommen. Wenn man auf TikTok nach #reclaimTikTok sucht, sieht man, dass auch die AfD diesen Hashtag verwendet. Dass da auch andere Leute auf diesen Zug aufspringen. Diese Initiative zeigt, dass es eine strategische Dimension braucht, um diesem Rechtsruck auf TikTok entgegenzutreten, der allerdings auch institutionelle Ressourcen benötigt und nicht nur ein paar engagierte Leute, die auf TikTok unterwegs sind.
Wer wäre da aus Ihrer Sicht gefragt, diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen?
Klimpe: Stiftungen, Parteien, überall, wo öffentliche Gelder vorhanden sind, müsste man sie auch in Social Media reinstecken.
Das Interview führte Jan Wiedemann.