Keine Gnade: "Arisierung" zum Vorteil der Welfen
Mit Druck und Erpressung haben die Nationalsozialisten viele Juden gezwungen, ihre Firmen weit unter Wert zu verkaufen. Das nannten sie "Arisierung". Auch Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, der Großvater des heutigen Welfen-Oberhauptes Ernst August (Prinz von Hannover) hat sich auf diese Weise mehrere jüdische Firmen angeeignet. Eines seiner Opfer war der Österreicher Lothar Elbogen. Der am 19. Juni 1900 in Mödling geborene jüdische Unternehmer besaß mehrere Bergwerke und handelte weltweit mit Talkum. Wiederentdeckte Dokumente belegen, dass sich Ernst August 1938 an der "Arisierung" der Talkum-Werke von Lothar Elbogen beteiligt hat. Die Historikerin Ulrike Felber von der Universität Wien hat die Leidensgeschichte des Unternehmers im Auftrag des NDR in monatelanger Archivarbeit recherchiert.
NS-Behörden verhaften den Unternehmer
Ende der 30er-Jahre: Der jüdische Unternehmer will den Wert seiner Firma retten und verkaufen - aber einen fairen Preis für sein Unternehmen bekommen, das umgerechnet auf den heutigen Maßstab, mehrere Millionen Euro wert wäre. Doch die antijüdischen Gesetze der Nazis gelten seit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1938 in Österreich auch dort. Gegen den geplanten Zwangsverkauf kann sich Elbogen kaum wehren und auch nicht dagegen, dass er am Ende gezwungen wird, sein Unternehmen unter Wert zu verkaufen. Die NS-Behörden erhöhen den Druck auf Elbogen: Sie verhaften ihn nach einem provozierten Handgemenge. Elbogen wird wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis in der Straße Rossauer Lände gebracht.
Herzog Ernst August bekommt Unterstützung aus den Reihen der Nazis
Trotz weiterer Interessenten geben die Nazi-Behörden dem Welfen-Herzog Ernst August den Zuschlag für diese "Arisierung". Einer der Gründe: Der Großvater der heutigen Welfen hat gute Beziehungen zu Österreich, denn dort ist er 1887 geboren worden. Außerdem verfügt Ernst August nach Recherchen Ulrike Felbers dort zudem über ein "braunes Netzwerk" - Nationalsozialisten, die ihm bei der erzwungenen Übernahme helfen. Einer davon ist der überzeugte Nazi Herbert Uebersberger, ein SA-Führer. "Er war in der NSDAP sehr gut vernetzt", so Historikerin Felber. "1938 war Uebersberger [...] für den Herzog ein willkommenes Instrument, um die Verhandlungen um die "Arisierungen" in Österreich durchzuführen und weiterzubringen."
Elbogen: "Ich wäre ein Bettler, wenn ich das unterschriebe ..."
Herzog Ernst August will Elbogens Firma kaufen und macht dem eingekerkerten jüdischen Unternehmer ein Angebot. Es liegt weiterhin unter dem, was die Firma tatsächlich wert ist. Elbogen ist verzweifelt und empört über dieses Verhalten des damaligen Welfenchefs. Im Gefängnis schreibt er einem dazwischen geschalteten Anwalt: "Ich kann nicht glauben, dass Seine Durchlaucht die Intention hat, so einen Vertrag mit einem Industriellen abzuschließen. (...) Wenn ich den Entwurf, so wie er ist, unterschriebe, so wäre ich buchstäblich ein Bettler, sobald ich das Land verlassen habe …" Denn aufgrund der Nürnberger Gesetze haben Juden, wenn überhaupt, nur beschränkten Zugriff auf ihr Vermögen. Es auf eine Flucht mitzunehmen, ist verboten.
Nach mehr als einem Jahr in Haft ist Elbogen zermürbt und kann sich nicht mehr wehren. Er unterschreibt den "Arisierungs"-Kaufvertrag, der am 16. Juni 1939 über die Österreichische Kontrollbank abgewickelt wird. Ein freiwilliges Einverständnis ist das ganz sicher nicht. Am Ende bezahlt Herzog Ernst August nur rund die Hälfte des Unternehmenswertes.
Er profitiert von der Zwangslage des verzweifelten Lothar Elbogen. Dieser hat noch nicht einmal auf dieses Geld Zugriff, denn die NS-Behörden würden darauf sofort Zwangssteuern erheben.
Nach Vertragsunterzeichnung: Elbogen wird nicht freigelassen
Elbogen hofft nun zumindest endlich freigelassen zu werden. "Die Österreichische Kontrollbank war nach Unterzeichnung des Kaufvertrages durch Elbogen der Meinung, man könne ihn jetzt freilassen", erklärt Historikerin Ulrike Felber. "Sie hat sich aber noch einmal beim Käufer, also beim Herzog, beim "Ariseur", vergewissert, ob das auch in seinem Interesse sei. Doch Herbert Uebersberger, der braune Helfer des Herzogs, verhindert dies. In einem erhaltenen gebliebenen Brief schreibt Uebersberger der Österreichischen Kontrollbank am 2. August 1939, dass es nicht "opportun sei, Elbogen freizulassen". Der Unternehmer wird weiter in Haft behalten; vermutlich weil er auch ausländische Guthaben seiner Firma an die Welfen übertragen soll.
Der Plan der Welfen geht offenbar auf: Erst als Elbogen völlig mittellos ist und seine Firma dem Herzog gehört, wird er aus der Haft entlassen. Eine legale Ausreise ist aber nicht mehr möglich. Denn Elbogen hat die sogenannte Judenvermögensabgabe noch nicht gezahlt. Deshalb wird ihm sein Reisepass nicht ausgehändigt. Ulrike Felber: "Er hat sich dann entschieden, sofort zu fliehen, weil er seine Reisedokumente noch immer nicht hatte und sich noch immer massiv bedroht fühlte."
Im Exil bekräftigt Elbogen: Nur unter Zwang an die Welfen verkauft
Elbogen flüchtet nach Jugoslawien. Noch haben deutsche Truppen das Land nicht besetzt. Aus Zagreb schreibt der enteignete Unternehmer am 6. Dezember 1939 einen Brief an seinen Bekannten Kurt Feilchenfeld. Darin stellt er klar, dass er nur unter Zwang an die Welfen verkauft habe: "Durch körperliche und seelische Torturen zermürbt, durch Hunger und Durst im Kerker des eigenen freien Willens beraubt, und unter Todesdrohung zwang man mich, einige Tausend Briefe zu unterzeichnen. Als Alleineigentümer meiner Firma hat sich Ernst August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg ins Handelsregister eintragen lassen."
1941 wird Lothar Elbogen ermordet
Etwa anderthalb Jahre überlebt der österreichische Unternehmer ohne Pass und Geld im Exil. Doch als die deutsche Wehrmacht 1941 in Jugoslawien einmarschiert, sitzt Lothar Elbogen in einer tödlichen Falle. Schließlich gerät er in die Fänge der Wehrmacht und wird bei einer Vergeltungsaktion am 12. Oktober 1941 von Deutschen ermordet.
Ulrike Felber kommt nach ihren Recherchen zu dem Schluss: "Man kann sagen, dass der Herzog unter Ausnutzung der diskriminierenden Bedingungen zum damaligen Zeitpunkt das Unternehmen erworben hat. Ohne Scheu, das auszunutzen und ohne Rücksicht auf die Person des Verkäufers."
Juristische Aufarbeitung des Falls
Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft beginnen in Wien Gerichtsprozesse, die die Umstände der Zwangsenteignung der Firma Elbogen klären sollen. Es sind zunächst Strafverfahren gegen die unmittelbar Beteiligten. Doch dabei geht es auch um die Rolle, die der Herzog bei der "Arisierung" spielte. Was genau wusste er? Welche Verantwortung trägt der Herzog? Zahlreiche Zeugen werden vernommen. Sie zeichnen ein klares Bild. So sagt zum Beispiel Otto Loeb, der damalige Anwalt Elbogens, in der Verhandlung folgendes aus: "Die Mutter des Lothar Elbogen hat sich wiederholt an den Herzog von Braunschweig gewendet und ihm mitgeteilt, dass sich ihr Sohn in Haft befindet und ihm Unterschriften erpresst worden sein sollen, damit der Verkauf des Geschäftes zustande kommt, und den Herzog um Abhilfe ersucht."
Die Indizien gegen den Herzog und seinen braunen Helfer Herbert Uebersberger verdichten sich. Rechtsanwalt Loeb weiter: "Lothar Elbogen sagte auch, Herr Uebersberger hat damals Druck auf ihn ausgeübt. Das Ganze war ein Komplott, er sollte unter Druck gesetzt werden, damit er dem Verkauf seines Unternehmens zustimme."
Historikerin: "Der Herzog trägt auch Verantwortung"
Für die Historikerin Ulrike Felber ist es eindeutig, "dass Uebersberger immer in Rücksprache mit dem Herzog verhandelte und dass dieses Handeln vom Herzog beziehungsweise dessen Bevollmächtigtem Paul Knoke abgesegnet war. Insofern trägt der Herzog natürlich auch Verantwortung für dieses Handeln.“
Das stellt auch einer seiner Enkel, Heinrich von Hannover, im Interview mit dem NDR für die Dokumentation "Adel ohne Skrupel" nicht in Frage. Er ist jedoch nicht der offizielle Sprecher der Welfen. Sein Bruder Ernst August, das aktuelle Oberhaupt der Welfen, war zu einem Interview vor der Kamera nicht bereit. Auf unsere Anfrage hin kündigt dessen 1983 geborener Sohn, Erbprinz Ernst August an, ein Historiker werde die Geschichte aufarbeiten. Das könne bis zu einem Jahr dauern. Wird es bei der Ankündigung bleiben?
Anmerkung der Redaktion (17.11.2016): Ernst August hat das Familienarchiv 2014 für Historiker geöffnet. Ein Zwischenbericht belegt nun die Verstrickungen seiner Vorfahren in der Nazi-Zeit.
Entscheidung zur erpressten Übernahme des Elbogen-Unternehmens
1950 stellt die Rückstellungskommission beim Landgericht Wien fest: Lothar Elbogen musste sein Unternehmen damals unter Zwang an den Herzog verkaufen. Für weniger als die Hälfte des eigentlichen Wertes. Ernst August wird verpflichtet, den Erben die Mehrheit des Unternehmens zu überlassen und sie rückwirkend am Unternehmensgewinn zu beteiligen. Lothar Elbogens damalige Verlobte Grete Klug, von ihm als Erbin eingesetzt, erhält die Anteile an den Talkumwerken drei Jahre später. Nach eigener Aussage nimmt sie Kontakt zum Herzog auf.
"Da gibt es Briefwechsel mit den Inhabern", sagt Heinrich von Hannover im Interview mit dem NDR. "Die sind sogar zu Besuch gekommen bei der Verwaltung und da haben sie damals meinen Vater sogar getroffen." Dem NDR zur Verfügung stellen wollte der Bruder des heutigen Welfenchefs die Briefe aber nicht. 1959 verkaufen Grete Klug und der Herzog das Unternehmen an eine konkurrierende Firma.
Heinrich von Hannover erkennt kein Problem
Trotz des Urteils hat der heutige Herzog Ernst August die "Arisierungen", von denen sein Großvater profitiert hat, in der "Süddeutschen Zeitung" als "einvernehmlich mit den jüdischen Eigentümern" (08.02.1999) bezeichnet. Und sein Bruder Heinrich von Hannover erkennt gegenüber dem NDR offenbar auch kein Problem in Bezug auf die erpresste Enteignung von Lothar Elbogen. Dabei war es nicht die einzige "Arisierung", an der die Welfenfamilie beteiligt gewesen ist.
"Für die Legitimität einer Familie oder eines Hauses, des Hauses Hannover, wäre es doch sinnvoll, sich mit dieser Geschichte kritisch auseinanderzusetzen", meint Ulrike Felber. "Eben auch um ein Zeichen zu setzen, dass man das heute anders sieht, dass man das anders bewertet, dass man sich nicht davonschleicht und so tut, als wäre das ein normales Geschäft gewesen. Dass man eben dazu steht und sich dazu bekennt und das kritisch beleuchtet."