Zwei Personen laufen an einem Strand entlang © Christian Schulz

"Roter Himmel" von Petzold: Letzter Sommer vorm Erwachsenwerden

Stand: 10.05.2023 10:29 Uhr

Christian Petzolds Film fängt an wie ein Horrorfilm und endet als Tragödie. Auf der Berlinale gab es dafür den großen Preis der Jury. Der meisterlich erzählte Film läuft im Kino.

von Anna Wollner

"Irgendetwas stimmt hier nicht." Der erste Satz in Christian Petzolds "Roter Himmel" bringt so ziemlich alles auf den Punkt. "Roter Himmel" fängt an wie ein Horrorfilm und wird zur leichten Sommerkomödie, um kurz vor Schluss doch als Tragödie zu enden. Zwei Freunde im Auto, unterwegs durch einen Wald. Ihr Ziel: ein Ferienhaus an der Ostsee. Dann explodiert etwas im Motor und sie müssen in der Dämmerung zu Fuß weitergehen, um dann festzustellen, dass sie in ihrem Urlaubsdomizil nicht alleine sind.

"Wir werden nicht allein sein."
"Ich brauch' meine Ruhe, meinen eigenen Platz zum Arbeiten."
"Ist die Nichte einer Arbeitskollegin meiner Mutter: Nadja."

Paula Beer als ominöse Muse

Die ominöse Nadja, gespielt von Petzolds Muse Paula Beer ist die ersten 20 Minuten nicht zu sehen, aber ihre Aura ist immer zu spüren. Sie ist der emotionale Kern einer Geschichte über vier junge Menschen, die den letzten Sommer vorm Erwachsenwerden erleben, ein letzter Sommer der vermeintlichen Unbeschwertheit.

Christian Petzold mit seinem Silbernen Bären für den Großen Preis der Jury für "Roter Himmel" bei der Preisverleihung der Berlinale 2023 © Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Fabian Sommer
AUDIO: Christian Petzold über seinen neuen Film "Roter Himmel" (55 Min)

Nadja arbeitet als Eisverkäuferin an der Strandpromenade. Leon und sein bester Freund Felix sind gekommen, um Arbeitsurlaub zu machen. Felix will seine Mappe für die Kunsthochschule fertigkriegen, Leon ist Autor und hadert mit seinem zweiten Roman. Leon, grandios gespielt von Thomas Schubert, ist ein richtiger Stinkstiefel und trotzdem der Sympathieträger des Films - unsympathisch und liebenswert zugleich. Er schiebt die ewige Ausrede des Arbeitens vor, wenn die anderen Baden gehen, durchsucht aber in der Zwischenzeit die privaten Dinge von Nadja. Wenn er denn mal mit an den Strand kommt, liegt er da mit schwarzer Hose, schwarzem Pullover, genervt von der Sonne und vom Sand und legt sich mit Nadjas Urlaubsflirt Devid an, dem Rettungsschwimmer vom Strandabschnitt.

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Christian Petzold mit seinem Silbernen Bären für den Großen Preis der Jury für "Roter Himmel" bei der Preisverleihung der Berlinale 2023 © Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Fabian Sommer

Wie Corona Christian Petzold zu seinem Film "Roter Himmel" inspirierte

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"Roter Himmel": Meisterhafte Charakterstudie

Petzold erzählt verspielt und humorvoll, beobachtet vier junge Menschen beim Müßiggang im Sommerurlaub, nutzt perfekt die Räume des Hauses auf der Lichtung, die Sichtachsen der Wohnräume mit dem Außenbereich. Inspiration hat er sich dafür beim französischen Autorenfilmer Eric Rohmer geholt, der das Genre des Sommerfilms zu Lebzeiten perfektioniert hat, spielerisch jungen Menschen beim Leben und Lieben zugesehen hat. Über "Roter Himmel" liegt allerdings konstant eine latente Bedrohung. Waldbrände in der Gegend, die irgendwann auch bei den Vieren für Gesprächsstoff sorgen.

Irgendwann wird die Bedrohung real, und aus der leichten Sommerkomödie, die beginnt wie ein Horrorfilm, wird dann doch noch ein großes Drama im fast schon antiken Stil. Mit einem famos aufspielenden Cast um Paula Beer, Thomas Schubert, Langston Uibel, Enno Trebs und Matthias Brandt. Eine flirrende, intime Charakterstudie, die zwischen Komik und Tragik changiert. Meisterhaft!

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Roter Himmel

Genre:
Drama | Komödie
Produktionsjahr:
2023
Produktionsland:
Deutschland
Zusatzinfo:
Mit Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel u.a.
Regie:
Christian Petzold
Länge:
103 Minuten
FSK:
ab 12 Jahre
Kinostart:
ab 20. April 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 19.04.2023 | 07:55 Uhr

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