"An einem schönen Morgen": Melancholisches Porträt einer jungen Frau
Léa Seydoux ist mittlerweile ein Star des internationalen Kinos. Für ihre Rolle in "An einem schönen Morgen", der dieses Jahr in Cannes lief, hat die Französin diesmal allen künstlichen Glamour abgelegt.
Sandra ist Mitte 30 und lebt als Übersetzerin und alleinerziehende Mutter mit ihrer Tochter in Paris. Vor allem kümmert Sandra, gespielt von Léa Seydoux, sich um ihren dementen Vater, einen ehemaligen Philosophieprofessor, der inzwischen zuhause nicht mal mehr die Wohnungstür findet.
Mitten in ihrem etwas tristen Alltag trifft Sandra einen alten Freund wieder. Die beiden verabreden sich. Wie aus heiterem Himmel flammt zwischen ihnen eine lange verborgene Liebe auf. Sie beginnt eine Affäre mit Clément (Melvil Poupaud), der mit einer anderen Frau verheiratet ist und ein Kind hat.
Mia Hansen-Løve verarbeitet nahenden Tod ihres Vater
Die Filme der französischen Regisseurin Mia Hansen-Løve haben fast immer einen autobiografischen Hintergrund. In "Bergman Island" hatte sie zuletzt ihre Lebenspartnerschaft mit dem Regiekollegen Olivier Assayas reflektiert. Jetzt verarbeitet sie die Krankheit und den nahenden Tod ihres Vaters, eines Übersetzers und Literaturprofessors. Auch wenn sein Alter Ego im Film Sandra kaum mehr erkennt, wird über Literatur und Musik gesprochen. Das Milieu ist bildungsbürgerlich. Wenn der Vater ins Pflegeheim kommt und seine Wohnung aufgelöst wird, stellt sich vor allem eine Frage:
"Und was machen wir mit seinen Büchern?"
"Was weiß ich, weggeben oder wegwerfen."
"Sie wegwerfen? Warum willst du sie nicht gleich verbrennen?"
Filmszene
"An einem schönen Morgen": Bewegendes Drama
Unaufgeregt ganz selbstverständlich wechseln die Schauplätze: Sandras Arbeitsplatz als Simultanübersetzerin in der Sprecherkabine, die Flure im Pflegeheim, das Schlafzimmer in ihrer Wohnung und immer wieder Paris. Mit dem Liebespaar flanieren wir durch die Parks und Straßen, besuchen Restaurants und das Musée Marmottan mit Monets berühmten Seerosen. Da wird viel geredet und viel geküsst. Und wenn es in der leidenschaftlichen Affäre von Sandra und Clément zu einem stillen Moment kommt, dann fällt es dem anderen gleich auf:
"Du bist schweigsam heute. Denkst du an etwas Bestimmtes?"
"Ich hätte nicht geglaubt, dass ich ein sexuelles Wesen bin, dass das zwischen uns möglich ist, dass mein Begehren so stark ist."
Filmszene
Es geht um die großen Fragen des Lebens, die Liebe und den Tod. Dabei vermeidet Mia Hansen-Løve jedes Pathos. Sie zeigt viel Gespür für Tempo und Atmosphäre.
Léa Seydoux hat diesmal allen künstlichen Glamour abgelegt. Niemand kann so unendlich traurig blicken wie sie - und im nächsten Moment dann wieder glücklich. Das ist das unaufdringliche, melancholische Porträt einer jungen Frau. Wunderbar beiläufig, bewegend und wahr.
An einem schönen Morgen
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2022
- Produktionsland:
- Frankreich, Deutschland
- Zusatzinfo:
- Mit Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud u.a.
- Regie:
- Mia Hansen-Løve
- Länge:
- 113 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 8. Dezember 2022