"Stella": Schauspielerin Paula Beer über Abgründe und ihre Ängste
Paula Beer hat schon einige Auszeichnungen erhalten. Häufig spielt sie in Filmen des Regisseurs Christian Petzold, wie in "Transit" oder "Roter Himmel". Nun spielt sie in Kilian Riedhofs Spielfilm "Stella" die deutsche Jüdin Stella Goldschlag.
Paula Beer ist Jahrgang 1995. Erstmals bekannt wurde sie in Deutschland als Jugendliche durch ihre Hauptrolle im Spielfilm "Poll" aus dem Jahr 2010. 14 Jahre später ist sie nun im Film "Stella" von Kilian Riedhof zu sehen, Darin spielt sie eine Jüdin, die während der NS-Zeit als Denunziantin für die Gestapo arbeitete. Dafür hat sie sich in einen tiefen Abgrund begeben, wie sie im Gespräch mit NDR Kultur verrät.
Für den Regisseur Kilian Riedhof war von Anfang an klar, dass diese Rolle unabdingbar mit Ihnen verknüpft war. Hat das ausgereicht, um sie anzunehmen?
Paula Beer: Als ich das Drehbuch gelesen habe, war es vor allem die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird. Wie komplex diese Figur ist und mit dem Erfahren der Geschichte auch zu wissen, wie detailliert es an der wirklichen Begebenheit dran ist. Wie sehr es eben auch darum geht, es so darzustellen, wie es war. Und das es nicht um die Verschönung, in die ein oder andere Richtung geht. Wie das geschrieben war, und wie breit diese Figur aufgestellt ist, das ist natürlich als Schauspielerin ein Geschenk. Da es selten so eine Figur gibt, war mein Interesse von Anfang an groß. Trotzdem geht es bei diesem Thema nicht ohne diese Ambivalenz. Es hing mir auch immer der Ekel im Nacken, die Abscheu vor diesen furchtbaren Taten und das Wissen, ich werde mich in einen sehr sehr tiefen Abgrund begeben.
Als Schauspielerin müssen Sie natürlich eine professionelle Distanz wahren, aber gleichzeitig muss man die Figur ja auch nahbar und durchlässig machen. War das auch eine Art von Last?
Beer: Es ist auf jeden Fall eine große Herausforderung und es hat in der Vorbereitung sicher die meiste Zeit erfordert, mit diesen Widerständen umzugehen. Einfach weil es nicht funktioniert, sich als Schauspielerin über seine Figur zu stellen, zu verurteilen oder generell zu beurteilen. Als Schauspielerin brauche ich die Offenheit meiner Figur gegenüber, anders kann ich die Emotionen nicht darstellen. Mit einem Urteil bringt man immer eine Grenze ins Spiel. Und für "Stella" war es notwendig, dass ich es schaffe, das für den Moment des Drehs abzulegen. Der erste Anknüpfungspunkt bei mir war ihre Begeisterung für die Musik und dass sie Jazzsängerin werden und nach Amerika wollte. Da konnte ich mich an die Unbedarftheit des Kindes sozusagen "ranhängen".
Welche Reaktionen erwarten Sie auf den Film?
Beer: Jede Form von Reaktion würde bestätigen, dass es auf eine Resonanz trifft. Ich glaube, dass Filme über den Abgrund oder das Schlimme im Menschen helfen, das zu verstehen, gerade bei dieser Thematik. Ich glaube, dass es einfach in unserer Natur liegt, dass uns Sachen erst interessieren, wenn wir selbst betroffen sind. Der Nationalsozialismus liegt so weit weg und deshalb ist es so einfach heute zu sagen, ja aber das würde mir nicht passieren, oder heute sind ja ganz andere Bedingungen und das würde heute nicht mehr passieren. Vielleicht ist es leichter über einen historischen Stoff, wie "Stella" es vielleicht schaffen kann, sich dem emotional zu nähern, was in Menschen vor sich geht, die Angst haben, die auch Todesangst und Angst um ihrer Liebsten haben, wozu das einen Menschen befähigt.
Wenn man auf die Geschichte guckt, vielleicht kann man in dem etwas begreifen. Ich finde es einfach faszinierend bei uns Menschen, dass wir nicht aus den Fehlern lernen, die schon gemacht wurden, und wir hätten so viel Potential zu wachsen. Und mein Wunsch ist, das man es mit "Stella" vielleicht schafft, dass man sich mit dem "sich-ein-Urteil-bilden" auseinandersetzt. Dass das nicht so einfach ist, weil man nicht betroffen ist. Als Nicht-Betroffener ist es immer wahnsinnig einfach zu sagen "ich hätte es anders gemacht" und ich möchte dieser Held oder diese Heldin sein. Dann die Brücke schlagen zu: In was für einer Situation bin ich denn heute mit meinen Ängsten konfrontiert, oder urteile ich über Sachen, von denen ich überhaupt keine Ahnung habe, die was in mir triggern. Das wäre mein stiller Wunsch, dass Menschen, die den Film sehen, oder auch nicht sehen, sich eigenverantwortlich mit ihren Ängsten und ihren Abgründen auseinandersetzen, weil das einfach, das Gefährlichste ist, was wir in uns tragen.
"Stella" war für Sie ein langer Prozess, wie Sie sagten. Würden Sie die Rolle heute nochmal annehmen?
Beer: Ja, so faszinierend ich die "Stella" als Figur finde, so wie ich sie spielen konnte, dass ist halt auch das Perfide daran, dass es als Schauspielerin auch Spaß macht, so etwas spielen zu können. Eine Figur, die so stark aufgestellt ist, die so eine stark ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, wie sie mit ihren Mitmenschen umgeht, das ist einfach sehr viel zu spielen. Es gibt eine Schlüsselszene für mich, da ist ein kleines Kind involviert, und das war in der Vorbereitung schon schwierig, weil es einfach so furchtbar ist. Bei Fiktion kann man sich immer damit retten, dass alles nicht wahr ist. Das ist es bei "Stella" eben nicht so, weil ich eben weiß, dass das alles wirklich passiert ist. Sie wurde "Blondes Gift" in Zeitungsartikeln genannt, und ich glaube, das ist sie einfach. Manchmal denke ich, vielleicht dürfen solche Figuren auch nicht wieder auferstehen, weil es so grausam ist. Und deswegen glaube ich, nochmals würde ich diese Reise nicht nochmal antreten.
Das Interview führte Bettina Peulecke. Den Soundtrack des Films hat die NDR Radiophilharmonie eingespielt. Die Musik stammt aus der Feder des Komponisten Peter Hinderthür.