Regisseur Bora Dağtekin: "Wir sind alle total erleichtert"
Es war ein märchenhafter Start für den neuen Kinofilm von Bora Dağtekin: "Chantal im Märchenland" mit Hauptdarstellerin Jella Haase lockte am Osterwochenende etwa 667.000 Menschen ins Kino.
Es war gerade die große Kinotour. Sind Sie ausgeschlafen? War es schön?
Bora Dağtekin: Ausgeschlafen ist man nie, wenn man einen Film macht, und auch nicht während des Marketings, aber die Kinotour war sehr aufregend und witzig. Wir haben total viel tolles Feedback bekommen. Seit Corona ist alles ein bisschen emotionaler geworden. Die Leute freuen sich über die Botschaften im Film. Wir haben super viel darüber geredet auf der Bühne: Was fandet ihr cool am Film und welche Message fandet ihr gut? Das war sehr interessant, wie gut er aufgenommen wurde.
Was sagen die Leute aus dem Publikum? Welche Botschaft gefällt ihnen? Welche Message haben sie mitgenommen?
Dağtekin: Das ist interessant. Da sitzen Mütter mit ihren Töchtern und schreien: "Frauenpower". Bei dem Film werden die Märchenfiguren oft upgegradet. Die Prinzessinnen dürfen die Heldinnen sein, brauchen keine Prinzen und emanzipieren sich aus reaktionären Märchenklischees. Das kommt super gut an. Dann haben wir sehr viel Feedback zu der Liebesgeschichte zwischen zwei Männern bekommen. Es gibt einen Prinzen, der eine Liebesgeschichte mit seinen Knappen hat, was in den Grimm‘schen Märchen immer weggelassen wurde - so erzählen wir es. Und vor allen Dingen auch, dass Zeynep und Chantal, also zwei Frauen, an der Spitze von so einem Blockbuster stehen. Man merkt, dass die Mädchen und die Frauen das sehen und wahrnehmen. Es wird viel drüber gesprochen - sei es Gender-Pay-Gap oder ob Frauen auch witzige Rollen haben. Oft sind das immer nur die Freundinnen von irgendwem. Das verändert sich Gott sei Dank gerade alles. Wir haben mit Maria Ehrich, Gizem Emre, Jella Haase und Nora Tschirner vier Frauen sehr stark im Zentrum. Ich bin richtig stolz, dass die so gefeiert werden.
An der Spitze dieses Märchenfilms steht Jella Haase als Chantal Ackermann aus "Fack ju Göhte". Sie hat immer noch diese freche, ehrliche und irgendwie verpeilte Art. Inwiefern hat sich aus Ihrer Sicht diese Figur trotzdem weiterentwickelt?
Dağtekin: Wir haben ganz viel drüber geredet: Bis wohin geht das, wie laut darf sie sein und wo baut man etwas Emotionales mit ein und zeigt, dass sie eine Entwicklung hat? Das hatte sie bis jetzt nie. Ich glaube, wir haben das ganz gut dosiert. Wer sie als Nebenfigur ein bisschen anstrengend fand, wird sehen, dass sie als Hauptfigur auch andere Seiten zeigt. Es ist eine ganz weiche Geschichte, in der sie auch an sich zweifelt und auch mal etwas lernt. Sie wird in diesem Film erwachsen und das war auch ein bisschen unsere Idee.
Es wirkt ein bisschen wie ein märchenhafter Erfolg, aber Chantal Ackerman aus "Fack ju Göhte" als Märchenfigur - das musste doch eigentlich ein Erfolg werden, oder?
Dağtekin: Es gab viele Leute, die uns gefragt, ob wir komplett durchgeknallt sind, aber ich glaube, niemand wusste genau, was es wird. Im Trailer ist es vielleicht ein bisschen lauter und ein bisschen krasser. Der Film selbst hat auch berührende Seiten und auch eine ganz starke Freundschaftsgeschichte. Ich glaube, dass viele Leute positiv überrascht sind. Der Film war auch sehr teuer und aufwendig mit den Computereffekten - wir haben Drachen, Feen, Zauberwesen und Schlösser. Das ist schon ein ganz schöner Aufriss. Der deutsche Film spielt gerne mal in Berlin-Mitte, also haben wir eine supercoole VFX-Abteilung, die extrem viel geleistet hat. Daher sind jetzt alle total erleichtert, dass es so gut läuft.
Der Cast hilft natürlich - es ist quasi der Erfolgscast aus den vergangenen Filmen. Aber es gibt auch Neuentdeckungen: Einer der Darsteller ist Mido Kotaini, erst vor acht Jahren aus Syrien geflüchtet. In "Chantal im Märchenland" spielt er seine erste Kinorolle. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Dağtekin: Er hat eine sehr berührende Geschichte. Er ist ganz alleine nach Deutschland gekommen, ohne Eltern, hat nur in Waisenhäusern und Kinderheimen gelebt. "Fack ju Göhte" war damals der erste Film, den er auf Deutsch gesehen hat. Es ist eine total coole Erfolgsgeschichte und auch ein Beispiel, wie wir mit den Flüchtenden umgehen sollten und welche Chancen wir ihnen möglichst in unserem Land bieten sollten. Ich hoffe, dass er ein Vorbild für viele ist, inspiriert und Mut machen. Als er aus Syrien geflohen ist, hat er gedacht, dass er niemals seinen Traum erleben kann, Schauspieler zu werden. Er hat das da schon gemacht, in der Schule, in einer Theater-AG. Wir haben auf der Kinotour in Düsseldorf seine Betreuerinnen aus der Mathildenstraße getroffen. Das ist eine Stiftung, in der er ganz lange gelebt hat. Das war etwas Besonderes, vor dem Kinosaal mit diesen Betreuerinnen zu sprechen. Die haben erzählt, wie er als Kind war. Das sind seine Ersatzmütter in Deutschland. Das ganze Publikum ist total mitgegangen und hat ihn gefeiert.
Viele Glücksgefühle und gute Laune, die Sie von dieser Kinotour mitnehmen. Wie geht's weiter?
Dağtekin: Nächste Woche gibt es noch mal ein paar Extra-Stationen. Jetzt feiern wir erstmal, dass so viele Leute den Film gucken, und dann mache ich Urlaub. Dann mache ich irgendetwas Neues, auf jeden Fall etwas ohne "Fack ju Göhte".
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer.