Neuer Job beim Film: Intim-Koordinatorin bei Sexszenen
Bei einem Vortrag hat Deutschlands erste Intim-Koordinatorin Julia Effertz ihre Arbeit bei intimen Szenen an Filmsets beim Filmfest Hamburg vorgestellt.
Julia Effertz leistet gerade Pionierarbeit. Seit mehreren Jahren hilft sie freiberuflich bei Filmproduktionen allen Beteiligten - an vorderster Stelle natürlich den Schauspielerinnen und Schauspielern - wenn intime Szenen gedreht werden. Eine Vorreiterin aus den USA brachte sie auf die Idee: "Ich war 2018 beim Filmfestival in Cannes und traf dort auf Ita O'Brien. 2018 war Harvey Weinstein und #metoo in aller Munde und wir haben alle natürlich sehr rege diskutiert, was können wir besser machen? Was müssen wir tun? Und Ita O'Brien stellte damals in Cannes ihre Richtlinien vor."
Effertz hält Vortrag beim Filmfest Hamburg
Julia Effertz erzählt während ihres Vortrags beim Filmfest Hamburg, wie sie sofort Feuer und Flamme war: "Mein erster Gedanke war: 'krass, warum gibt es das denn noch nicht? Das gibt es doch für Stunts, für Kampf, für Tanz - da gibt es doch immer Expertise. Warum nicht für intime Szenen?' Denn als Schauspielerin weiß ich, wie sensibel und heikel das ist."
Bei vielen Produktionen in Amerika und Großbritannien, etwa bei allen Dreharbeiten von HBO-Serien, ist Intimacy-Koordination bei entsprechenden Szenen Pflicht. Zu groß ist den Filmstudios die Gefahr des physischen und emotionalen Verletzungsrisiko ihrer Stars. Effertz hat dann bei der britischen Intimimacy-Koordinatorin Ita O'Brien eine Ausbildung gemacht. "Ich wusste, ich will das lernen, weil ich diese Fürsorge auch meinen Kolleginnen und Kollegen am Set anbieten möchte, die ich mir selber wünschen würde, wenn ich eine intime Szene drehen würde."
Choreografie für Nacktszenen am Set
Klar ist: Wenn jemand am Set verletzt wird, verzögern sich die Dreharbeiten. Das kostet Geld. Effertz‘ Aufgabengebiet beinhaltet Küsse und Umarmungen, Geburtsszenen sowie leidenschaftlichen - oder forcierten - Sex. Das Berühren der Geschlechtsteile bei Nackt-Aufnahmen ist dabei absolutes Tabu.
"Ich sorge für klare, transparente Kommunikation im Vorfeld. Wir gucken, welche Genitalbedeckung es braucht, das macht dann die Kostümabteilung. Wir proben die Szene, wir choreografieren sie in die Tiefe. Ich sorge dafür, dass die Schauspieler wirklich einwilligen können und dass die Neins respektiert werden."
Und dann sorgt Effertz auch noch dafür, dass nur die Menschen im Raum sind, die wirklich benötigt werden, und dass niemand ein Handy ans Set bringt. Auf dem Monitor verfolgt sie, wie die Kamera die vereinbarten Abläufe einfängt. Und nach der Szene stellt sie im Gespräch sicher, dass es allen Beteiligten gut geht.
Beratung für Filmförderungen, Produktionen und Kolleginnen
In Deutschland hat die Berlinerin bis 2020 erst dreimal als Intim-Koordinatorin gedreht, unter anderem für eine Online-Serie, denn noch ist sie vor allem als Aufklärerin für diesen neuen Job bei Schauspielschulen, Produzenten und Schauspielerinnen und Schauspielern, bei Filmförderungen und Filmfesten in Deutschland und Österreich unterwegs: "Es ist ganz frisch in Deutschland. Wir stehen ganz am Anfang des Kulturwandels, was unglaublich spannend ist."
Der Berliner Schauspieler Tobias Samman hat ihren Vortrag besucht. Er hat noch nie mit jemandem wie Effertz gearbeitet - und würde sich für zukünftige Sexszenen Hilfe wünschen: "Mich machen diese Szenen genauso nervös, wie wahrscheinlich alle am Set - wie auch die Partnerin. Nur redet man halt nicht drüber. Rückblickend betrachtet muss ich sagen, ich fühle mich schon allein gelassen."
Schauspielerin Amor Schumacher wünscht sich nach diesem Vortrag einen Wandel: "An jedem Set, wo eine intime Szene stattfindet, sei sie körperlich, aber sie muss noch nicht einmal körperlich sein, gehört ein Intimacy-Koordinator dazu."
Das vollständige Video vom Filmfest Hamburg aus dem Jahr 2020 ist hier in voller Länge - ab Minute 9:40 - zu sehen.