Lange Filme und Theaterstücke: Gütesiegel oder Überfrachtung?
Sind Theaterstücke oder Filme mit drei Stunden zu lang oder genau richtig? Die Meinungen dazu gehen auseinander - auch in der NDR Kultur Redaktion. Julia Jakob ist für die Häppchenkultur und Peter Helling entschieden dagegen.
Julia Jakob: "Die Kunst der Auslassung"
Fasse dich kurz: Das stand früher in den Telefonzellen. Zeit war da noch Geld. Schon laut Sprichwort liegt doch in der Kürze die Würze - und sie ist eine Kunst, die wir immer weniger beherrschen. Im Kino muss sich zwei, drei oder auch mehr Stunden der Hintern platt gesessen werden, weil Regisseur*innen und Produzent*innen kein Ende finden - und einem da bei manchen Filmen eh der Gedanke beschleicht: Rübenrausch-Kino. Was dem Regisseur durch die Rübe rauschte, bringt er auf die Leinwand.
Wird denen an den Hochschulen nicht mehr beigebracht, wie man eine Geschichte gut erzählt? Haben die noch nie von der Kunst der "Auslassung" gehört? Ja, ich bin eine Befürworterin der Häppchenkultur. Erstens: Sie lässt Raum für Reaktion, für Nachhaken, Nachdenken, Sich-Ausmalen. Sie lässt Zeit für Widerspruch, fürs Auseinandersetzen und für den größeren Blick. Wenn einer schon alles vorbetet, dann ist das Gegenüber erschlagen von einem Zuviel. Zweitens: Es ist nun mal Realität, dass immer weniger Menschen sich lange konzentrieren können. Wenn auf diese Bedürfnisse nicht eingegangen wird, geht der Kultur der Nachwuchs flöten.
Peter Helling: "Kultur soll den Zuschauer fordern"
Schon die größte Märchenerzählerin aller Zeiten, Scheherazade, brauchte für ihre Geschichten 1.001 Nacht. William Shakespeare, der vielleicht größte Dramatiker: Seine Stücke waren große Nachmittagsveranstaltungen von vielen Stunden. Und die alten Griechen, die haben sich auch einen ganzen Tag lang ins Theater begeben, um wirklich zu erleben, was Kunst mit ihnen macht. Sie hatten dafür einen Namen: Katharsis, die Reinigung, die Erlösung, durch das lange Gucken, durch das Überwältigtwerden. Genau das muss Kunst.
Lang zu erzählen heißt nicht, schlecht zu erzählen, man muss es nur können. Und wer es kann, der kann wirklich verzaubern. Denn wer erinnert sich nicht an die stundenlangen Erzählungen am Lagerfeuer, wenn man gar nicht aufhören möchte, zuzuhören. Die Häppchenkultur droht zu einer wirklichen Gefahr der Kultur zu werden, denn wir denken nur noch alles in kleinen, konsumierbaren Einheiten. Genau das sollte Kultur nicht. Kultur darf sich Zeit lassen. Kultur soll fordern, ja überfordern. In der Länge steckt der Schlüssel für ein echtes, ein wirkliches Kulturverständnis.