NachGedacht: Barbie, Jane Goodall und unser Hass
Ein Mirakel ist geschehen: Alle lieben plötzlich Barbie. Wenige Ausnahmen müssen aber gemacht werden. Es gab sogar konträre Gefühle. Ulrich Kühn findet das interessant.
"Ich hasse diese Puppe." Ist das nicht erfrischend? Jane Goodall hat es einfach gesagt, "ich hasse diese Puppe". Natürlich geht es um Barbie. Goodalls Wort hat Gewicht, sie ist eine beeindruckende Persönlichkeit, 89 Jahre alt. Man ahnt, dass sie, die weltberühmte Erforscherin des Verhaltens von Schimpansen, aus gesunder Distanz ihr Urteil über die Kunstfrau spricht. Aber so ist es nicht ganz. DIE ZEIT hat Jane Goodall nämlich in einem Interview auf die Kooperation des Jane-Goodall-Instituts mit dem Spielwarenhersteller Mattel angesprochen, der "sogar eine Barbie verkauft, die Ihnen ähnlich sieht". Jane Goodalls Antwort: "Ich hasse diese Puppe! Ich fand die Idee gut, weil ich Mädchen gerne ein Vorbild bin. Aber diese Figur ist ein teures Produkt für Sammler."
Barbie: Durchgeschlankt bis in jeden Winkel
Herrlich, das Thema für die nächste Deutscharbeit ist fertig: "Erörtere mögliche Widersprüche zwischen der Aussage Jane Goodalls und der Kooperation ihres Instituts mit dem Spielwarenkonzern unter besonderer Berücksichtigung des Wortes Hass." Leider sind Ferien, niemand schreibt Deutscharbeiten. Wir müssen uns eigene Reime machen.
Zum Beispiel auf die Ergebenheit, mit der sich die Öffentlichkeit der Marketingkampagne des Konzerns Mattel in die Arme geschmissen hat. Barbie hat sich durchgeschlankt bis in jeden Winkel, bester Beweis ist diese Kolumne, bei deren Gründung die Beteiligten schworen, niemals über Barbie zu sprechen.
Plastik-Ken lässt kalt
Es ist nun aber so, dass ich, als ich ein Junge war, durchaus mit Puppen gespielt und sogar Gefühle gehabt habe, zum Beispiel das Gefühl, dass diese Puppe anders war. Irgendwie kalkuliert, irgendwie künstlich-bäh. Ich mochte sie nicht. Von Plastik-Ken zu schweigen, der ließ mich in jeder Pore kalt bei meiner Männlichkeitssuche, die selbstverständlich, wie ich später lernte, unter den Vorzeichen eines toxischen Männerbildes stattgefunden hat, wovon ich selbstverständlich nichts merkte, weshalb vielleicht gar nicht so viel Toxisches rumgekommen ist. Toxisch ist aber ein gutes Stichwort. In der von mir ausgedachten Deutschklausur soll ja das Wort Hass unter die Lupe gelegt werden. Jetzt könnte man fragen, ob Jane Goodall nicht vielleicht ironisch gegrinst hat, als sie sagte: "Ich hasse diese Puppe". In Wahrheit ist das aber herzlich egal. Denn Hass ist real unter Menschenwesen.
Pandemischer Hass?
Hass ist das Toxische schlechthin unter Menschen. Das rasend Gefährliche am Hass ist sein Ansteckungspotenzial. Wo Hass gesät und gehasst wird, wächst die Aufgabe für die Gehassten und die noch nicht Hassenden ins Unermessliche: Wann reduzierst du den Hassenden auf den Hass? Darfst du es dir nicht mit guten Gründen leichter machen, indem du die eine hassende Person nicht mehr als "eine andere" siehst, sondern als eine von "den Hassenden"? Nimmst du das Angebot an, das der Hass dir perfide macht, und gehst dazu über, nicht einzelne zu sehen und nach Ursachen ihres Hassens zu fragen - sondern die Gruppe, die dieses eine Merkmal auszeichnet, der jeden Unterschied tilgende Hass? Und wenn du dieses Angebot annimmst, was ist mit dem nächsten Angebot, das auf dem Fuße folgt: Wenn du erst die Gruppe "der Hassenden" gebildet hast, indem du Menschen auf diese eine Eigenschaft schrumpfst, die zweifellos Empörung, auch Wut verdient: Kannst du dann noch ausschließen, dass du selbst hassen wirst? Mit den Nicht-Hassenden die Hassenden hassen? Am Ende gilt: Gruppe hasst Gruppe. Der Hass ist pandemisch geworden.
Gefühl, das unser Menschsein vergiftet
Ich komme auf Jane Goodall zurück, auf ihren hübschen Satz: "Ich hasse diese Puppe". Man sieht es nicht auf den ersten Blick, aber der Satz handelt gar nicht von einer Puppe. Er handelt von dem Gefühl, das unser Menschsein vergiftet. Man sollte denen, die es verbreiten, nicht behilflich sein.