Kopie von vernichtetem Reimann-Film über Neubrandenburg aufgetaucht
Die Veranstaltung am 27. Juli im Neubrandenburger Stadtarchiv ist bereits ausgebucht - für den 31. August ist eine weitere Vorführung von "Sonntag, den… Briefe aus einer Stadt" geplant. Manfred Krugs Stimme ist sofort zu erkennen, die bekannte Schauspielerin Jessy Rameik liest die Texte von Brigitte Reimann:
"Was mir hier gefällt, sind die Kontraste, die sich so glücklich zusammenfügen: Backstein und Rasterbau, Fachwerk und Beton, der alte Wall und die Transitstraße." Filmszene aus "Sonntag, den… Briefe aus einer Stadt"
Brigitte Reimann lebte seit 1968 in Neubrandenburg. Der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel hat gerade eine Biografie über die Schriftstellerin vorgelegt. Für ihn sind die Texte in dem Film beides: eigene Erfahrungen und Literatur: "Für Brigitte Reimann ist das damals eine ganz fatale Situation. Es ist Sommer 1969, Kerschek (Hans Kerschek, Anm.d.R.), ihr dritter Ehemann, trennt sich. In ihrem Tagebuch schreibt sie: 'Jetzt lebe ich nur unter Medikamenten am Rande der Existenz. Was soll ich tun?' Und was tut sie? Sie schreibt. Aus dem ganzen Jammer macht man ein paar Seiten anständigen Textes. Insofern kann man sagen, dass beides zusammen geht: Das ist Literatur, und gleichzeitig sind das letztendlich, eingeschlossen in diesen Text, die Primärerfahrungen von Brigitte Reimann."
"Poetische Liebeserklärung" an Neubrandenburg
Neubrandenburg ist Ende der 60er-Jahre eine sehr junge Stadt, weil viele junge Leute hierherkommen und Familien gründen. Carsten Gansel findet, dass der Film mehr ist als nur ein Zeitdokument: "Ich finde schon, dass das ein ausgesprochen gut gemachter, spannender Film ist. Er ist ja eigentlich eher das, was gar nicht so oft üblich ist: so eine Art Filmfeuilleton. Der damals 30-jährige Bernd Scharioth und Brigitte Reimann, die ja sehr gut zusammengearbeitet haben, haben daraus eine poetische Liebeserklärung an eine der damals durchaus interessanten Städte gemacht, nämlich Neubrandenburg."
Regisseur Bernd Scharioth zeigt vor allem Menschen in der Stadt, markante Sehenswürdigkeiten werden behutsam eingebaut und sind meist spät zu sehen. Der Stadtname Neubrandenburg wird gar nicht erwähnt: "Man hätte diesen Film sicherlich auch in einer anderen Stadt drehen können. Und dass die Filmemacher den Film "Sonntag den… Briefe aus einer Stadt" genannt haben, ist ja schon der Hinweis darauf, dass die gar nicht unbedingt wollten, dass sofort erkennbar ist, dass Neubrandenburg im Zentrum steht.
"Sonntag, den… Briefe aus einer Stadt" wurde 1984 vernichtet
1970 - im März und als Wiederholung im November - wurde der Film im Fernsehen der DDR gezeigt. Nachdem Manfred Krug 1977 die DDR verließ, kam der Film auf den Index: "Es gibt ein Dokumentationsblatt zum Film und dort ist handschriftlich notiert: 'Gesang M. Krug' - und dann der Vermerk: 'gesperrt'. Und im März 1984, so Carsten Gansel, wurde endgültig über den Film entschieden: "Dort ist der Hinweis fixiert, dass 'Sonntag den…' zusammen mit 20 anderen Film vernichtet werden kann. Und so ist das dann auch passiert. Damit ist der Film unwiederbringlich verloren - jedenfalls in der DDR."
Schwarz-Weiß-Kopie aufgetaucht
Im Mai 2023 tauchte im Archiv eine besondere Kopie auf: "Der Film ist erhalten geblieben, weil die Kollegen dort beim ZDF den Film direkt abgefilmt haben, als er ausgestrahlt wurde", erzählt Gansel.
So wie Karl-Eduard von Schnitzler für seinen "Schwarzen Kanal" das Westfernsehen abfilmte, tat es offenbar auch manchmal der Westen mit dem Ostfernsehen. Somit ist "Sonntag, den… Briefe aus einer Stadt" zwar nicht im Original in Farbe, dafür aber in Schwarz-Weiß doch noch erhalten geblieben.