Loriot-Dokumentation: Hinter leisen Tönen lauerte Anarchie
In "Loriot 100" von André Schäfer erinnern sich Prominente von Hape Kerkeling bis Helge Schneider an den großen Humoristen. Der Film läuft am6. November ab 20.15 Uhr im Ersten. Nur eines von vielen Angeboten zum 100. Geburtstag Loriots.
Loriot zu schauen, das war ein Familienereignis früher zu Hause bei der Komikerin Mirja Boes. "Meine Eltern haben sich scheckig gelacht und wir haben versucht, es zu verstehen, und haben auch gelacht." "Loriot kann man super mit Kindern gucken", findet auch die Comedy-Autorin Mariella Tripke, "weil das auf unterschiedlichen Ebenen unterhält. Das Kind findet es lustig und lacht - und der Erwachsene lacht über ganz andere Sachen."
Hape Kerkeling über Loriot: "Der hat einen an der Marmel"
Zum Beispiel, wenn der Komiker einen pedantischen Herrn spielt, der ein leicht schief hängendes Bild gerade rücken will und dabei ein riesiges Chaos anrichtet. Solche Szenen haben den Komiker Hape Kerkeling angesprochen, als er Kind war. "Ich erinnere mich, dass ich am Bildschirm kleben geblieben bin und dachte: Der ältere Herr, der hat einen an der Marmel. Das gucke ich mir genauer an."
Ein Humorist der leisen Töne. Eine neue Doku ergründet, wie Loriot den Deutschen den Spiegel vorhielt. Und fragt: Ist sein Humor bis heute zeitlos? "Er hatte das Selbstverständnis der Deutschen verstanden und wusste, wie man sich darüber lustig macht", bemerkt der Komiker Oliver Kalkofe in der Doku.
Markenzeichen Knollennase
Bernhard Victor Karl von Bülow war Jahrgang 1923 und kam aus dem preußischen Adel. Erwachsen wurde er nach dem Krieg - in einem Deutschland voller Schuld. Eine Nation, die wieder aufbaut und verdrängt und über sich selbst nicht lachen kann. 1947 geht Loriot an die Kunstakademie in Hamburg - entwirft seine ersten Knollenmännchen. Die gezeichneten Figuren mit den riesigen Nasen werden zu seinem Markenzeichen.
Das sei genau das, was Deutschland zwischen 1945 und 1989 ausmacht, betont der Germanist Stefan Neumann. "Man achtet immer drauf, dass man nicht zu weit geht. Und dass einen die eigene Gesellschaft, aber auch die Weltgemeinschaft irgendwie irgendwas übel nimmt. Im Grunde genommen ist Deutschland das Knollen-Nasenmännchen auf der Weltbühne."
Loriots Kunst: Der ganz präzise Blick.
Er seziert die Biedermänner, die Aufgeplusterten. Ein Mann im Kampf gegen die Bürgerlichkeit - und doch ein Teil von ihr. Seine Kunst: der ganz präzise Blick. "Nun ist uns ja in der deutschen Geschichte ab 1933 bis 1945 der subversive Humor völlig abhanden gekommen", sagt Kerkeling, "weil jeder, der diese Art der Kunst betrieben hat, verschwunden, emigriert ist oder eben getötet wurde und insofern gab es in der jungen Bundesrepublik eine Leere."
Bei Loriot sind wir Deutschen besonders deutsch. Ein Volk, das alles richtig machen will - und an sich selbst nur scheitern kann. Herausgekommen sind Glanzstücke wie der Sketch, in dem Evelyn Hamann sich als adrette Politesse bei der Kontrolle der Parkuhren hoffnungslos im Amtsdeutsch verhaspelt - oder beim verkrampft fröhlichen Weihnachten bei den Hoppenstedts. "Da wird unsere Gesellschaft so seziert - auf den Punkt -, was eben auch das Deutsche ausmacht. Diese Fassade! Dieses Nicht-authentisch-sein-Können", bemerkt Kerkeling. "Daran krankt unsere Gesellschaft auch immer noch. Ich glaube, das hat Loriot auch immer sehr bemängelt. Ich meine, der Deutsche steht morgens auf und macht einen Fehler. Es ist sehr lustig."
Helge Schneider: "Der war bei einem zu Hause"
Zum deutschen Spießbürger gehört auch: seine Verklemmtheit. Jeder Versuch erotisch zu sein, kann nur missglücken. Neumann sieht eine Doppeldeutigkeit. "Es ist immer eine sexuelle Ebene drin, die man natürlich nicht auf den ersten Blick sieht." Und dabei hielt er einem den Spiegel vor. Der Komiker Helge Schneider ist begeistert. "Diese Wohnzimmer-Atmosphäre aus dem Fernseher raus zu einem selber, wo man in den ähnlichen Sofas dann sitzt, das war so eins zu eins. Der war bei einem zu Hause."
Hinter seinen Figuren steht harte Arbeit. Loriot war Perfektionist. Sein Ton bleibt leise - aber dahinter lauert die Anarchie. "Die Satire - zunächst mal die eigentliche Satire - kann unmöglich etwas Aufbauendes haben", sagt Loriot selbst. "Die Hoffnung der Satire ist, etwas zu zerstören, was später wieder richtiger und besser aufgebaut wird."
In Loriots Figuren ertappen wir uns selbst. Vielleicht ist sein Humor deshalb so zeitlos. "Loriot hat allen Deutschen einen Gefallen getan. Er war einer von den Klarsten, die gesagt haben: So sind wir!", sagt der Kabarettist Torsten Sträter