"Hafenstraße" am Theater Lübeck - fassungslose Reaktionen

Stand: 09.04.2024 07:04 Uhr

Das Theater Lübeck greift den Brandanschlag von 1996 auf eine Flüchtlingsunterkunft in seinem Stück "Hafenstraße" auf. Dadurch sollen die Todesopfer wieder ins Gedächtnis gerufen werden.

Szene eines Theaters: Ein Mann steht hinter einem Tisch und erzählt etwas. Um ihn herum sind vier weitere Personen, die ihn anschauen und zuhören. © Isabel Machado Rios Foto: Isabel Machado Rios
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von Linda Ebener

Vor allem in den 1990er-Jahren gab es immer wieder Anschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete. Zum Beispiel in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und 1996 auch in Lübeck. Doch eines ist in der Hansestadt anders, denn hier wurden, trotz einer Reihe von Spuren, die Täter nie ermittelt.

Regisseur Helge Schmidt: "Beweismaterial zeigt rassistische Strukturen"

Die Stimmung im Theater Lübeck: bedrückend und viele waren fassungslos. Einige Menschen im Publikum hatten Tränen in den Augen. Zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler schilderten mit Bildern, Zeitungsartikeln und Videos von Zeitzeugen was in der Nacht zum 18. Januar 1996 in der Hafenstraße in Lübeck passiert ist. Zehn Menschen sind bei diesem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft ums Leben gekommen. Sie waren aus ihren Heimatländern geflüchtet und wollten in Lübeck Schutz finden. Schnell war klar, es war Brandstiftung: "Wir haben es nicht verhindert. Und darum soll es auch gehen, warum haben wir es nicht verhindert?", heißt es im Schauspielertext. Das Theater Lübeck bringt dieses Thema auf die Bühne.

Auf der Theaterbühne sind zwei Männer zu sehen, im Hintergrund sieht man Bildprojektionen © Isabel Machado Rios Foto: Isabel Machado Rios
Grundlage für den Theatertext sind viele Auszüge aus Originaldokumenten.

Regisseur Helge Schmidt hat es auf Wunsch des Ensembles umgesetzt. Er will an den Fall erinnern und neue Denkanstöße geben. Ihm ist wichtig, dass sich die Stadt mit der Erinnerungskultur auseinandersetzt. "Wir versuchen dem Thema so sachlich wie möglich zu begegnen," erklärt Schmidt, "aber man kann auch deutlich feststellen, was da falsch gelaufen ist. Diese strukturellen Mängel zu benennen und zu sagen: es ist Lübeck gewesen, aber es sind auch andere Fälle gewesen, wo unzureichend ermittelt wurde, das ist uns wichtig. Festzustellen, dass es Strukturen gibt, die rassistisch sind, die dafür sorgen, dass zunächst Hausbewohner*innen verdächtigt werden, die dem Verdacht nach rechts nicht ausreichend nachgehen. Und auch wie in der Öffentlichkeit damit umgegangen wird."

Niemand wurde für die Tat verurteilt

In dem Doku-Theater geht es um Daten und Fakten und viele offene Fragen. Die fünf Schauspieler*innen gehen und stehen auf der Bühne, immer wieder zitieren sie abwechselnd aus Unterlagen der Staatsanwaltschaft oder Zeitungsartikeln. Dazwischen werden Interview-Ausschnitte gezeigt. Zu sehen sind Zeitzeugen, die als Video auf einzelne Jalousien projiziert wurden, unter anderem Redakteur Holger Bachmann-Wulf: "Ich glaube, dass es ein absolutes Versagen einer Demokratie ist, wenn sie Menschen, die hier Schutz suchen, hier nicht schützen kann, oder auch nicht schützen will."

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Verdächtigt wurden damals vier Neonazis aus Grevesmühlen. Aus Mangel an Beweisen wurden sie allerdings wieder freigelassen. Auch ein Hausbewohner kam vor Gericht - er wurde zweimal freigesprochen, zitiert Darstellerin Lilly Gropper: "Die Kriminaltechnik hat keine Spuren, weder am Körper noch an der Kleidung festgestellt, die auf Safwan E. als Brandstifter hindeuten."

Es wird außerdem ein Video von Esperanca Bunga gezeigt, eine Überlebende des Brandanschlags. Sie hat damals ihre Mutter und ihre Schwester verloren. "Sie suchen schnell einen Schuldigen," so Esperanca Bunga, "das war alles Rassismus, Diskriminierung. Das war alles in Einem."

Schockierte Reaktionen aus dem Publikum

Auf die löchrige Beweislage reagiert das Publikum schockiert. Eine Besucherin schildert: "Erstmal hinterlässt uns das fassungslos, dass der Staat so reagiert und vertuscht hat, dass wir damals selber schon 30 Jahre alt waren und nicht reagiert und uns damit auseinandergesetzt haben. Dass man sich auch selber schuldig fühlt, nichts getan zu haben." Ein anderer Besucher kommentiert: "Es muss sich ja schon die Staatsanwaltschaft, die damals in Amt und Würden war, dazu bekennen und Stellung dazu beziehen. Insofern wird das in der Öffentlichkeit schon noch eine Diskussion geben." Eine Frau sagt, sie fühle sich aufgewühlt, aber gleichzeitig auch aufgeklärt.

Das Stück soll aufklären und aufrütteln

Genau das will Regisseur Helge Schmidt unter anderem erreichen: "Ich finde es wichtig, ein Anliegen als Gesellschaft zu formulieren, zu sagen: wir haben einen Anspruch darauf, dass es aufgeklärt wird, und dass es da irgendeine Form der Aufarbeitung gibt, dass das nicht in einem luftleeren Raum herumhängt. Man kann ja gar nicht sagen, wer es war. Jetzt stehen gefühlt zwei Theorien nebeneinander: Es könnte ein Hausbewohner gewesen sein, zwei Prozesse haben das Gegenteil bewiesen, es könnten aber auch andere gewesen sein. Das kann ein Rechtsstaat eigentlich nicht akzeptieren."

Bis heute wurde niemand für die Tat am 18. Januar 1996 verurteilt. Nach gut 90 Minuten voller Dokumente, Beweise und Videointerviews geht niemand unberührt nach Hause. Das Stück hat einen starken Eindruck beim Publikum hinterlassen.

Die Hintergründe und wie Zeitzeugen den Fall erlebt haben, können Sie noch bis zum 24. Mai im Theater Lübeck sehen.

 

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