Spektakel in Schwerin: "Sancta" kratzt nur an der Oberfläche

Stand: 03.06.2024 09:09 Uhr

Mit Spannung war die erste Oper der österreichischen Performancekünstlerin Florentina Holzinger erwartet worden. Am Donnerstag fand am Mecklenburgischen Staatstheater die Premiere von "Sancta" statt: eine große, unterhaltsame Bühnenshow.

Drei Darstellerinnen auf einer Bühne: Eine hängt kopüber unter einer Glocke, eine andere an seinem Seit am Rand der Kulisse. © Nicole Marianna Wytyczak Foto: Nicole Marianna Wytyczak
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von Karin Erichsen

"Don't dream it, be it", "Träume nicht nur, sei" - das war die Schlussbotschaft des Abends. Zuvor hatte Florentina Holzinger diesen Aufruf in Schwerin fast drei Stunden lang in großen Bildern zelebriert. Am Ende wiegte sich das Publikum mit den nackten Darstellerinnen im selben Takt, bevor es kräftig Applaus spendete.

Sichtlich zufrieden zeigte sich Intendant Hans-Georg Wegner, auf dessen Initiative die Choreographin am Mecklenburgischen Staatstheater ihr Operndebüt gab. "Ein großes Bild der gesellschaftlichen Inklusion. Wenn man das sieht und das Publikum singt mit - das ist ein sehr, sehr gutes Gefühl. Ich bin sehr stolz auf unser Haus, dass wir das so hingekriegt haben", freute sich Hans-Georg Wegner nach der Vorstellung.

Hindemiths "Sancta Susanna" als Auftakt

Mehrere Menschen stehen im Orangefarbenen Licht auf einer Bühne in Schwerin: (von links) Cornelia Zink, Andrea Baker, Netti Nüganen und Jasko Fide © Nicole Marianna Wytyczak Foto: Nicole Marianna Wytyczak
Florentina Holzinger findet starke Bilder für die Inszenierung ihrer Oper "Sancta" in Schwerin.

Die Oper "Sancta Susanna" von Paul Hindemith über das erotische Erweckungserlebnis einer Nonne bildete ohne eigenes Bühnenbild den Auftakt für Florentina Holzingers große Show. Musikalisch war die Oper ein erster Höhepunkt, szenisch lebte sie von dem Gegensatz zweier in strengem Ornat gekleideten Nonnen und einem lesbischen Paar beim Sex. Diese beiden Gegensätze waren programmatisch für den gesamten Abend. Darin ging es um Selbstfindung, um sexuelle Befreiung, Entgrenzung und Aufbruch moralischer Konventionen - insbesondere der katholischen Kirche.

Holzinger: Frauenfeindlichkeit der Kirche ein gefundenes Fressen

"Wenn man in einem katholisch geprägten Land wie Österreich aufgewachsen ist, hat das - würde ich selbstreflektierend sagen - immer schon einen Einfluss gehabt auf meine Arbeit. Eine gewisse Symbolik, und natürlich auch der Umgang mit Weiblichkeit - wenn man sagen würde, dass die Körpermoral der Kirche als spezifisch frauenfeindlich gelesen werden kann. Insofern war das für mich ein gefundenes Fressen, mich dezidiert mit diesem Thema auseinanderzusetzen", bekannte Florentina Holzinger zur Motivation ihrer Arbeit.

Abgehalten wurde diese Entgrenzung und Befreiung von Konventionen bei Holzinger in Form einer Messe, durch die eine kleinwüchsige Päpstin führte. Die Darstellerin war eine von mehr als einem Dutzend kraftvoller Frauen, die schon allein durch ihre authentischen, ausdrucksstarken, vielfach tätowierten oder vernarbten Körper ungewöhnliche Lebensgeschichten erzählten.

Musikalischer Mix aus Heavy Metal, Pop, Techno und Klassik

Satanisches Chaos eröffnete nach der Kurzoper die fröhliche Show: Mit lesbischem Sex an einem großen Kreuz, mit einer riesigen Weihrauchschaukel, einer Glocke mit lebendigem Klöppel. Die Sixtinische Kapelle wurde eingerissen und neu gestaltet, Jesus stürmte als Hippie das Opernhaus, nackte Nonnen tanzten auf einer Rollschuhbahn und vor dem letzten Abendmahl wurde unbeschwert gebeichtet, zum Beispiel Abtreibung und Ehebruch. Musikalisch trug ein Mix aus Heavy Metal, Pop, Techno und geistlichen Werken von Johann Sebastian Bach, Sergei Rachmaninow, Eminem und Charles Gounod durch den Abend.

Skandal in Schwerin blieb aus

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Zwei kaum verhüllte Darstellerinnen mit Nonnenhauben auf dem Kopf fahren mit Rollschuhen auf einer Halfpipe. © Nicole Marianna Wytyczak Foto: Nicole Marianna Wytyczak

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Der fast schon erwartete Skandal blieb in Schwerin aus. Vielleicht auch deshalb, weil die Inszenierung zwar mit katholischen Symbolen spielt, diese Oberfläche aber nicht weiter durchbricht. So muss sich niemand wirklich betroffen fühlen. Hierin liegt allerdings auch die Schwäche der Produktion. Denn womöglich wird sie aus genau diesem Grund als opulentes und kurioses Spektakel vorüberziehen.

Anschließend gastiert die Produktion vom 10.-15. Juni auf den Wiener Festwochen und ist später in der Oper Stuttgart zu sehen. Die drei Institutionen hatten sich mit dem Mecklenburgischen Staatstheater zusammengetan, um das Projekt gemeinsam finanzieren zu können.

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Eine Frau mit langen wehenden Haaren blickt in die Kamera, hinter ihr, verschwommen, ein Schloss. © Jens Büttner Foto: Jens Büttner

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 31.05.2024 | 07:40 Uhr

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Oper

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