Meyerhoff-Festspiele mit "Die Vaterlosen" beim Hamburger Theaterfestival
Halbzeit beim Hamburger Theaterfestival. Das Staraufgebot ist auch bei dieser 16. Ausgabe hoch. Nun stand Schauspieler und Bestsellerautor Joachim Meyerhoff bei "Die Vaterlosen" auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses.
Der russische Schriftsteller Anton Tschechow feiert in seinem am Asowschen Meer geschriebenen Frühwerk, das unter dem Titel "Platonow" bekannt geworden ist, den Abschied von einer untergehenden Welt. Die Münchner Kammerspiele haben es im vergangenem Jahr unter der Regie von Jette Steckel auf die Bühne gebracht - nun war es beim Hamburger Theaterfestival zu erleben, und NDR Theaterexperte Peter Helling war dabei.
Das Hamburger Theaterfestival ist ja ein Theater-Schaufenster der Superlative. Nun gab es am Dienstag wahre Joachim Meyerhoff-Festspiele, oder?
Peter Helling: Ja, kann man so sagen. Der Jubel am Schluss war riesig. Meyerhoff hat einen verkrachten Dorfschullehrer gespielt und war der Star des Abends. Die Generalin wurde von Wiebke Puls gespielt und war für mich der eigentliche Star dieser Inszenierung. Die Tragikomödie von Tschechow erzählt von einer Gruppe von Freunden und Nachbarn eines Dorfs, die sich auf dem Gut der Generalin treffen, das kurz vor der Zwangsversteigerung steht. Joachim Meyerhoffs Figur, der Dorfschullehrer und Zyniker Platonow, bringt alles durcheinander. In ihn verlieben sich die Frauen und verfallen ihm.
Das Stück startet wie eine nette Partygesellschaft. Sie stehen vor dem Eisernen Vorhang und plaudern über Gott und die Welt - eigentlich über nichts. Platonow provoziert, weil er immer sagt, was er denkt. Dadurch wird diese Atmosphäre, auch durch Alkohol beschleunigt, explosiv. Regisseurin Jette Steckel, die ja auch sehr bekannt ist in Hamburg, hat dieses Stück an den Münchner Kammerspielen inszeniert - das war auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Und irgendwann geht der Eiserne Vorhang hoch und man blickt in einen Wald von Metallstangen. Ein Dickicht. Bei Tschechow heißt es: "Die Seele eines Fremden ist ein dichter Wald." Und in den tauchen wir geschlagene dreieinhalb Stunden ein.
Wie hat Dir denn das Stück gefallen?
Helling: Ehrlich gesagt, es war anstrengend, viel zu lang. Es war laut, und es ließ mich letztlich kalt. Was toll ist: Das Ensemble spielt hervorragend. Organisch und leicht greifen die Dialoge ineinander. Das Besondere an den Stücken von Tschechow ist, dass sie sich scheinbar nirgendwo hin bewegen, sie handeln scheinbar von nichts und doch von allem. Was ist der Mensch, was ist Glück, wie entkommen wir unserem Dasein? Aber die Inszenierung setzt auf grelle Effekte, laute Auftritte mit Theaterblut, Gegenlicht, ausgestopften Tieren, E-Gitarre und literweise Wein. Dieser gespielte Exzess langweilt mich irgendwann.
Was Tschechow so einzigartig macht, ist, dass seine Stücke voller Geheimnisse sind. Nur hier gibt es kein Geheimnis. Eigentlich geht es nur darum, wer mit dem Lehrer in die Kiste geht. Mittelalte Figuren sehnen sich nach Sex. Dabei ist Tschechow so viel mehr als nur diese simple Frage. Am Ende steht Meyerhoff-Superstar wie der gekreuzigte Christus auf der Bühne, gepfählt von Metallstäben - ganz schön eitel. Die Figur, die am meisten Geheimnis hatte, ist die Generalin. Wiebke Puls als selbstbewusste Frau steht da, groß und unantastbar, und spürt, dass sie allein ist. Ihr Spiel geht sehr ans Herz und man spürt die Elektrizität dieses Theaterabends - der aber letztlich sehr berechnend ist, ohne Poesie, ohne doppelten Boden.
Lustiges Einsprengsel: Niels-Peter Rudolph kam mit auf die Bühne. Er ist der ehemalige Intendant des Deutschen Schauspielhauses und trat als Überraschungsgast auf. Er unterhielt sich sehr "großkopfert" mit dem Dramaturgen Carl Hegemann, einer Dramaturgen-Ikone des deutschen Theaters. Da saßen sie, die Väter - das Stück heißt ja "Die Vaterlosen", aber auf die Väter hört keiner mehr.
Das Hamburger Theaterfestival wird ja privat gefördert. Welche Bedeutung hat dieses Schaulaufen der Theaterstars für Hamburg?
Helling: Ich finde es immer wieder eine Entdeckungsreise. Die Stücke, die Festival-Intendant Nikolaus Besch einlädt, sind meistens groß, wuchtig, mit Stars aus Film und Fernsehen. Immer wieder kommen Stücke, die auch inhaltlich etwas zeigen, was man in Hamburg sonst nicht sieht. Eine Schauspielerin wie Wiebke Puls etwa, die ja Anfang der 00er-Jahre am Schauspielhaus große Erfolge feierte, war sichtlich auf dieser Bühne zuhause. Neue, ästhetische Zugriffe muss man aber mit der Lupe suchen. Hier geht es mehr um Überwältigung als um Neuland. Aber wieso auch nicht? Theater kann auch Cinemascope-Format - das beweisen die Stücke allemal. Mit den "Vaterlosen" ist es in meinen Augen nur halb geglückt.