Eine große Gruppe von jungen Leuten steht vor einem bunt geschmückten Gebäude-Eingang. © Körber Stiftung / Fabian Hammerl

Körber Studio Junge Regie: Die Trends beim Regie-Nachwuchs

Stand: 10.06.2024 16:22 Uhr

Im Interview spricht NDR Theaterkritiker Peter Helling über seine Eindrücke vom Körber Studio Junge Regie in Hamburg. Das Nachwuchs-Theaterfestival ist am Sonntag mit einer öffentlichen Jurysitzung zu Ende gegangen, die Helling moderiert hat. 

Peter Helling, welche Bedeutung hat das Körber Studio Junge Regie für die Theaterlandschaft?

Peter Helling: Die Bedeutung ist enorm: Eingeladen zu werden oder sogar den Preis zu gewinnen bedeutet überregionale Bekanntheit, eventuell ein Engagement an einem Theater, vielleicht den Beginn einer Theaterkarriere. Was das Festival besonders macht: Es zeigt Abschlussarbeiten und Semester-Projekte der Regie-Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum. Das sorgt für eine große Vielfalt. Eine internationale Schule ist auch vertreten, sie ist allerdings nicht im Wettbewerb um den Jurypreis. Das war diesmal eine Performance von einer Regiehochschule im belgischen Gent. Der Preis der Körber-Stiftung in Höhe von 10.000 Euro geht an eine Regieperson und ist gekoppelt an eine konkreten Produktionsauftrag. Was das Festival noch so wichtig macht: Im Publikum sitzen Dramaturgen und Dramaturginnen, Intendanten und Intendantinnen. Man trifft sich, vernetzt sich, schaut sich den Nachwuchs an. Die Jurysitzung, die ich am Sonntag moderiert habe, wird live im Stream übertragen, das sorgt für zusätzliche Bekanntheit. 

Wie ist die Stimmung? Da ist bestimmt eine Menge Spannung in der Luft. Oder wird pausenlos Party gemacht?

Helling: Weniger Party, mehr Spannung: Rund 200 Studierende sind mit ihren Dozenten vor Ort - bei den Diskussionen wird klar, wie groß die Bedeutung des Festivals für die Studierenden ist. Gleichzeitig merkt man, dass die Studierenden sich strengen Hierarchien verweigern. Sie bilden Teams, fordern Mitsprache, treten offen gegen Rassismus ein und fordern den Mindestlohn für Hospitanten an Theatern. Das haben sie am Sonntag noch einmal nach der Preisverleihung deutlich gemacht. Die Studierenden wollen das Theater wirklich neu denken. 

Eine Frau sitzt vor einem Klavier und reißt die Arme in die Luft. © Victoria Nazarova
"K.I. und Abel" ist unter der Regie von Bianca Thomas am Max Reinhardt Seminar in Wien entstanden.

Wie lief das Festival ab? 

Helling: Los ging es letzten Dienstag. Im Laufe des Festivals hat sich eine prominent besetzte fünfköpfige Jury alle Stücke angesehen. Mit in der Jury waren zum Beispiel Anna Bergmann, die Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater Karlsruhe und die Performerin Mable Preach. Nachdem man bis zu drei Stücke pro Tag gesehen hat, setzt ein Festival-Dusel ein, eine Art Rausch durch das Gucken, diskutieren, auch streiten über die einzelnen Arbeiten.

Zu sehen waren total unterschiedliche Stücke. Das Stück "K.I. und Abel" war fast komplett von einer K.I. geschrieben. "Regenmaschine" brachte den Klimawandel auf die Bühne, hat das Phänomen des Wasserkreislaufs mit Wischmopps und Wettervorhersagen als Performance gezeigt. Wasser spielte in diesem Jahrgang überhaupt eine große Rolle: Im Stück "Aphotic Zone" tauchte man in die Tiefen des Ozeans ein. Und bei "On Waves" erlebte man, wie aus Ozeanwellen Radiowellen werden - als Radioshow, die sich mit Migration, schwarzer Kultur und Rassismus auseinandersetzte. Am Ende kamen vier Stücke auf eine Shortlist, die intensiv öffentlich diskutiert wurde.

Fünf größtenteils schwarz maskierte Personen stehen auf einer Bühne, eine sitzt an einer Harfe. © Mariella Maier
Abgründige Bilder: Giulia Giammona hat das Gewinnerstück "Penelope" inszeniert.

Und wer hat gewonnen?

Helling: Das Stück "Penelope" vom Mozarteum in Salzburg, welches von Giulia Giammona inszeniert wurde. Es ist eine opernhafte, sehr surreale Geschichte über eine 18-jährige Frau, die sich aus ihrer Märchenschloss-Welt befreit. Das Stück geht unglaublich virtuos mit Musik, Tanz und Akrobatik und zeigt groteske, abgründige Bilder zu verdrängter Gewalt und Missbrauch. Eine Arbeit aber wurde fast am meisten bei diesem Festival diskutiert: "Strukturen und Menschen - Tagebuch einer Hospitantin 2.0" von Hannah Helbig, die am Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen studiert. Sie hat darin sehr persönlich und offen über ihre teils niederschmetternden Erfahrungen als Hospitantin an einer großen Berliner Bühne gesprochen. Wie eine Whistleblowerin ermöglichte sie, in die Machtstrukturen des Theaters einzutauchen. Das war erschütternd und aufrüttelnd - und hat den nicht dotierten Publikumspreis gewonnen. 

Welche Trends wurden sichtbar - und wie könnte das Theater der Zukunft aussehen? 

Helling: Grundsätzlich ist mir aufgefallen: Alle Regie-Studierenden suchen nach neuen Erzählweisen. Die Arbeiten waren meistens sehr klar, fast ein bisschen klinisch. Es gab keine Klassiker, nur Verweise auf Klassiker, und so gut wie keine nachgespielten Stücke, stattdessen maximal Romanadaptionen. Ansonsten wird selbst geschrieben, entwickelt, ausprobiert.

Erstaunt hat mich, dass sich viele Arbeiten Zeit ließen, fast bis zur Überdehnung. Es gab kaum klassische Dramatik mit Helden oder Heldinnen, stattdessen Kollektive, Teams, Erzählerfiguren. Erstaunlich ist, dass aktuelle politische Fragen wie Krieg, der Rechtsruck in Europa oder die Migration so gut wie keine Rolle spielten. Da sucht eine Generation nach neuen Erzählformen, will das Theater von innen verändern und gibt sich selbst die Freiheit und die Zeit, zu erzählen, was sie will. Eine Arbeit aus Frankfurt hat mich sehr berührt: In "Morgen bin ich gestern anders gewesen" erzählten vier ältere Frauen, keine Schauspielerinnen wohlgemerkt, aus ihren Leben. Dieses Dokumentarische kommt an - und wird auch die Zukunft des Theaters prägen.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

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Das Hamburger Thalia Theater von außen. © Thalia Theater

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 10.06.2024 | 09:20 Uhr

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