Furioser Auftakt im neuen MalerSaal: Wenn Wale Mitspracherecht haben
Rosig ist die Zukunft nicht - immer düsterer wird es auf dem Weg in die von der Künstlerin Julia Oschatz gestaltete die Realnische 0, die kleine Spielstätte im Hamburger Schauspielhaus, die bislang MalerSaal hieß. Dominieren auf dem schmalen Gang dorthin zunächst die poppig bunten Farben des Schauspielhaus-Marketings, schlucken plötzlich grau-schwarze Wände das Licht, wird mit Zeichnungen und Worten daran erinnert, dass die Null auch für das Ende steht, denn in der Realnische 0 stirbt eine Art.
Die Sprache der Wale dechiffrieren
Wie könnte ein ökologisches Grundgesetz aussehen? Diese Frage stellt Kevin Rittberger ins Zentrum seines Stückes "Gesetze schreddern. Eine klimagerechte Entsorgung des deutschen Grundgesetzes", denn das Klima hat sich dramatisch verändert seit der Abfassung des Grundgesetzes vor 75 Jahren. Meisterhaft dekliniert er die Problematik durch am Beispiel der Pottwale.
Mal angenommen, es gelänge, die Sprache der Wale zu dechiffrieren, zahlreiche Versuche gibt es bereits, und mit ihnen zu verhandeln? Über die Nutzung von Meeresraum, die Bohrung nach Öl? "Der spanische Ölkonzern Repsol hat heute bei einer Pressekonferenz mitgeteilt, das erste Gespräch mit einem Wal erfolgreich über die Bühne gebracht zu haben…", schallt es da auf der Bühne.
Die Natur als Geschäftspartner ernst nehmen
Und die Wale hätten, so der Ölkonzern, einer Bohrung nach Öl in ihrem bisherigen Habitat zugestimmt und würden - gegen Entschädigung - umziehen. Das klingt zunächst absurd, doch dahinter steht der keineswegs absurde Gedanke, die Natur als "Eigentümer" und damit Geschäftspartner ernst zu nehmen.
Dafür müsste allerdings Artikel 14 des Grundgesetzes umgeschrieben werden, in dem festgelegt wird, dass Eigentum dem Wohle der Allgemeinheit dienen solle. Und zwar wie folgt: "Das Eigentum und sein Gebrauch sind insbesondere dem sozialen und ökologischen Wohle der Allgemeinheit verpflichtet."
Das Publikum wird mit einbezogen
Und noch einmal zum Mitschreiben, denn alle im Publikum sind aufgefordert, diesen neu formulierten Artikel im Grundgesetz zu ergänzen. Wie das? Jede und jeder hat ein Exemplar auf seinem Stuhl vorgefunden und einen Bleistift, denn der neue Gesetzestext ist ja noch nicht gedruckt.
Der Abend folgt den Ausführungen des Münchner Rechtswissenschaftlers Jens Kersten, der seine Gedanken zur ökologischen Umgestaltung des Grundgesetzes 2022 in Buchform herausgebracht hat. Die fantastischen, quasi mit allen Wassern gewaschenen Guides durch diesen komplexen Abend sind das Schauspielerduo Samuel Weiss und Ute Hannig. "Ich arbeite jetzt fürs Zeti, Mama. Gestern durfte ich Roboterfische steuern, die schwimmen zwischen den Walfamilien hin und her, damit wir orten können, wer wann spricht", erklärt Hannigs Figur.
Stück macht Lust auf die Auseinandersetzung
Was nach dystopischen Zukunftsfantasien klingt, kommt beim Publikum gut an: "Man kann sich wirklich vorstellen, dass in dem Moment, wo die Walsprache entschlüsselt ist, es irgendeinen Konzern geben wird, der sagt: Wir haben das Recht hier zu bohren", sagt eine Besucherin.
Nie wird dieses Gedankenspiel zu theoretisch, es bleibt Spiel, humorvolles Spiel. Kevin Rittberger, Ute Hannig und Samuel Weiss machen Lust auf Denken, auf Auseinandersetzung, scheuen nicht vor komplexen Fragen zurück und geben keine vorschnellen Antworten. Der von Isabel Oschatz ausschließlich mit Stücken aus dem Fundus ausgestaltete Raum ist ein zwar düsteres, aber wunderbares Spielfeld - und ein furioser Auftakt. So darf es gerne weitergehen mit der "Aufarbeitung der Zukunft" in der Realnische 0.
Furioser Auftakt im neuen MalerSaal: Wenn Wale Mitspracherecht haben
Die kleine Spielstätte im Hamburger Schauspielhaus heißt jetzt Realnische 0 und will zukunftsrelevante Themen verhandeln.
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Deutsches SchauSpielHaus MalerSaal
Kirchenallee 39
20099 Hamburg