Bechtolf über Flimm: "Rauschhaft vergingen die Jahre"
Vor einem Jahr ist Jürgen Flimm gestorben, bis 2000 legendärer Intendant des Hamburger Thalia Theaters. Ein langjähriger Wegbegleiter Flimms war der Schauspieler und Regissseur Sven-Eric Bechtolf.
Flimm war ein Bühnenmensch durch und durch, aber auch ein Strippenzieher, prägend für viele, die mit und unter ihm gearbeitet haben, die in seinen Inszenierungen auf der Theater- oder Opernbühne standen. Zum Beispiel Sven-Eric Bechtolf, den Flimm Mitte der 1980er-Jahre ans Thalia holte.
Oft prallten da die Temperamente der beiden Choleriker aufeinander, aber beide schätzten die Zusammenarbeit bis zum Schluss. Bechtolf hat auch das Vorwort geschrieben zu den Erinnerungen von Jürgen Flimm, die im Januar erschienen sind unter dem Titel "Mit Herz und Mund und Tat und Leben". Außerdem wäre er auch in Flimms letzter Theaterinszenierung dabei gewesen, die corona-bedingt ausfiel.
Bechtolf: "Flimm war immer da"
"Er war da unglaublich treu und liebevoll und hat Menschen geholfen, die in finanziellen Nöten waren, oder denen es gesundheitlich nicht gut ging. Er war wirklich immer da, wenn Not am Mann war - 24 Stunden am Tag", erzählt Bechtolf.
Er habe das - vielleicht nicht ganz politisch korrekt - "als mütterliche Begabung" empfunden: "Und seine väterliche Begabung war neben dem Zorn auch der unternehmerische Wagemut, der künstlerische Wagemut, das Umsetzen seiner Ideen. Auch um einen hohen Preis: Ein kämpferischer Mann", ergänzt der 66-Jährige.
Flimm am Thalia auf dem Höhepunkt
Die 15 Jahre am Hamburger Thalia Theater seien für Flimm etwas ganz Besonderes gewesen: "Der Jürgen war da wahrscheinlich, auf Englisch sagt man: 'in his pride'. Er war auf dem Höhepunkt seiner Kraft und auch seiner Möglichkeiten. Und wir waren angesteckt von dieser Leidenschaft."
Es sei dabei keinem eingefallen zu sagen: "Jetzt ist es aber zu spät oder nein, es ist Wochenende oder ich habe jetzt frei oder Urlaub", berichtet Bechtolf. Es sei "selbstverständlich verrückt gearbeitet worden, eben in einer Art von Selbstausbeutung. Und rauschhaft vergingen die Jahre."
"Ich würde sagen, von den zehn Jahren, in denen ich da war, waren sicher acht wirklich beflügelnd und enorm intensiv." Sven-Eric Bechtolf über die Arbeit mit Jürgen Flimm
Trotz Krankheit weiter gearbeitet
Dass Flimm mit seiner Gesundheit Raubbau betrieben hat, zeigte sich in den Jahren vor seinem Tod. Er war lange schon krank, arbeitete aber immer noch. Über eine seiner letzten Begegnungen mit dem Freund im Krankenhaus erzählt Bechtolf: "Er war sehr krank und konnte nicht mehr lesen. Da hat er mir gesagt: 'Aber ich entwerfe Geschichten.' Und dann hat er mir drei ziemlich lange Geschichten erzählt, die alle in Italien spielten und verrückten Inhalts waren."
Das habe er "wahnsinnig bewundert", so Bechtolf: "Das fand ich so unglaublich, dass er mit über 80 Jahren da lag und immer noch künstlerisch tätig war. Sozusagen zurück geworfen aufs Letzte."