Schwarz-weiß-Foto einer älteren Frau mit kurzen Haaren. Es ist die Schauspielerin Margit Carstensen. © picture alliance/dpa | Annette Riedl Foto: Annette Riedl

Trauer um Margit Carstensen: Fassbinder-Star mit einzigartiger Aura

Stand: 03.06.2023 10:56 Uhr

Die Schauspielerin Margit Carstensen ist tot. Sie starb am Donnerstag im Alter von 83 Jahren in Heide. Mit Filmemacher Rainer Werner Fassbinder drehte sie unter anderem "Martha". In den vergangenen Jahren machten Carstensen Gesundheitsprobleme zu schaffen.

von Severine Naeve

Fassbinders Film "Martha" hat Margit Carstensen 1974 berühmt gemacht. Sie spielt darin die gedemütigte Ehefrau eines herrschsüchtigen Tyrannen, dargestellt von Karl-Heinz Böhm. Rätselhafte Frauen, gefangen in Machtspielen, mit großen Emotionen - Rollen, die sie vor allem auch für Rainer Werner Fassbinder immer wieder übernahm.

Geboren wurde Carstensen am 29. Februar 1940 in Kiel, dort wuchs sie auch auf. Schauspiel lernte sie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, wo sich ihr eine Welt erschlossen habe und sie sich selbst aufschließen musste, wie sie es einmal formulierte. Nach Stationen an verschiedenen Theatern wie dem Hamburger Schauspielhaus, wo sie von 1965 bis 1969 zum Ensemble gehörte, wechselte sie 1969 nach Bremen.

Fassbinder-Rollen in den 1970er-Jahren

Schwarz-weiß-Foto aus dem Jahr 1974 mit einer Szene vom Dreh des Films "Martha" mit drei diskutierenden Personen (Rainer Werner Fassbinder, Margit Carstensen und Karlheinz Bohm,) © picture alliance / Everett Collection
Ende der 1960er Jahre wechselte Margit Carstensen vom Hamburger Schauspielhaus nach Bremen. Dort entwickelte sich eine langjährige Zusammenarbeit mit Filmemacher Rainer Werner Fassbinder.

Hier lernte sie den Theaterautor und Filmemacher Fassbinder kennen. Sie galt als Muse des Regisseurs, der sie immer wieder besetzte. Mit ihm drehte sie zahlreiche Filme wie "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (1972), "Martha" (1974) und "Chinesisches Roulette" (1976).

Leicht war die Zusammenarbeit mit ihm nie, wie Carstensen in einem Interview mit ARTE 2015 erzählte: "Einmal hat er mich zum Beispiel damit verunsichert, dass er mir einen langen neuen Text gegeben hat, unmittelbar vor dem Drehen, den ich in Minuten erfassen, also auswendig lernen sollte ... Das kann man so schnell ja gar nicht. Da ist man in einen Zustand versetzt, den kann man gar nicht erspielen, den erleidet man fürchterlich."

Filme mit Schlingensief und Haußmann

Auch die Regisseure Christoph Schlingensief und Leander Haußmann besetzten Rollen gern mit der gebürtigen Kielerin. In "100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker" (1989) von Schlingensief verkörperte Carstensen Magda Goebbels. 1999 drehte sie mit Haußmann die Ex-DDR-Komödie "Sonnenallee", in der sie eine leicht verbissene Schuldirektorin spielte. Hier konnte sie ihre komödiantische Seite zeigen.

2016 arbeitete Margit Carstensen zum letzten Mal in einer TV Produktion. Im Bodensee-Tatort "Wofür es sich zu leben lohnt" ist sie mit Eva Mattes, Irm Hermann und Hanna Schygulla zu sehen, drei Kolleginnen, die auch regelmäßig mit Rainer Werner Fassbinder gearbeitet haben. In der Rolle der Margarete gehört sie einem kuriosen Trio alter Frauen an, die unter Mordverdacht stehen.

Götz-George-Preis für ihr Lebenswerk

2019 wurde Margit Carstensen in Berlin mit dem Götz-George-Preis für ihr Lebenswerk geehrt. Zuletzt lebte sie viele Jahre lang zurückgezogen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Heide. Nachdem ihr Ehemann gestorben war, blieb sie allein mit ihren Hunden. Schon seit längerer Zeit konnte sie wegen gesundheitlicher Probleme keine Rollen mehr übernehmen. Seit Jahren litt die starke Raucherin an einem Lungenemphysem, das ihr das Atmen schwer machte.

Weitere Informationen
Rainer Werner Fassbinder mit Hanna Schygulla nach der Welturaufführung seines Films "Lili Marleen" 1981 in Berlin. © dpa - bildfunk

Fassbinders Filme: Einblicke in die Seele der Deutschen

Rund 40 Filme hat Regisseur Rainer Werner Fassbinder produziert. Sein Fleiß ist legendär und auch seine Vorliebe für starke Frauenfiguren, die in seinen Filmen oft die Hauptrolle spielen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 02.06.2023 | 16:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Spielfilm

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Geigerin Janine Jansen beim Konzert mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie. © Screenshot

Jetzt im Livestream: Sakari Oramo & Janine Jansen

Janine Jansen spielt eine Deutsche Erstaufführung von Britta Byström. Sakari Oramo bringt Elgars Zweite Sinfonie zum NDR EO. Video-Livestream

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?