"Salome"-Premiere begeistert Hamburger Opern-Publikum
An der Hamburgischen Staatsoper hatte am Sonntag die Oper "Salome" Premiere. Inszeniert vom Russen Dmitrij Tcherniakov, dirigiert von Kent Nagano, in der Titelpartie: die litauische Sopranistin Asmik Grigorian.
Wenn sie ihn nicht lebend lieben kann, dann will sie ihn tot - den abgetrennten Schädel von Johannes dem Täufer küsst Salome innig. Es ist schon ein verstörender Stoff, der da im Neuen Testament überliefert wurde. Ein Stoff, den der englische Schriftsteller Oscar Wilde Ende des 19. Jahrhunderts zum aktuellen Bühnendrama über die Sexualmoral im England der damaligen Zeit machte, ein Stoff, den Richard Strauss einige Jahre später zur Oper komponierte. Eine Oper, die 1905 als abgründiges Sündenstück gesehen wurde.
"Salome": Blick auf dekadente Wohlstandsgesellschaft
Richard Strauss Musik zur "Salome" ist nicht unbedingt eingängig, das Sujet von Liebe und Mord drängt sich auch nicht auf, und doch: Hier wird durch Musiktheater ein ungeheurer Sog entfesselt. Das Premierenpublikum stellt gerade noch seine Social-Media-Stories mit Programmheft im Handykamera-Fokus fertig, da wird Richtung Bühne der Blick auf eine dekadente Wohlstandsgesellschaft frei. Hier tafelt man, exklusive Altbauimmobilie in Toplage, rotbepolsterte Design-Plexiglasstühle, Herrscher Herodes sitzt am Kopf der langen Tafel, Blumenmotivanzug großbemustert. Man kennt diese Typen, die irgendwie sehr schnell zu sehr viel Geld gekommen sind, aus Reality Soaps.
Tcherniakov lässt komplexe Situationen plastisch werden
Man kennt diese protzige Ästhetik von den "Rich Kids" auf Instagram, man kennt diese gelangweilten "Ach ja!"-Gesprächspausen, wenn Menschen sich nichts mehr zu sagen haben. Der Regisseur Dmitrij Tcherniakov ist ein sehr genauer Beobachter, und er versteht es, komplexe soziale Situationen mit wenigen dramaturgischen Pinselstrichen plastisch werden zu lassen.
Alles wirkt immens realistisch und nahbar
"Es ist sehr kalt hier" singt John Daszak als judäischer Tetrarch Herodes, dem er eine wunderbar vulgär-wohlhabende Aura gibt. Ein nach Befriedigung Suchender. In dieser Familie stimmt nichts mehr, Kommunikation findet schon lange nicht mehr statt, die Leere wird mit großen Partys gefüllt. Im Publikum sieht man dieser protzig-goldenen Tristesse wie ein Zaungast zu. Das alles wirkt immens realistisch und nahbar.
Orchester und Gesang in guter Balance
Sogar die Texte sind gut verständlich, Kent Nagano hält die große Staatsorchesterbesetzung so gut in Balance zum Gesang, dass Kyle Ketelsen als Jochanaan, Johannes, mit dem Rücken zum Publikum singend, am Kopf der Tafel sitzen kann. In dieser Regie wird die Figur des Propheten Johannes nicht im Kerker eingesperrt und wirkt doch wie ein Fremdkörper: Der einsame Intellektuelle mit Cord-Sakko mitten in der vulgären Glitzerwelt.
Asmik Grigorian entwickelt Rolle der Salome gewaltig
Auf Salome wirkt er angemessen irritierend, beim Kennenlernen geht Asmik Grigorian die Rolle noch etwas zu holzschnittartig pubertär-pöbelig an, aber sie wird diesen Charakter gewaltig entwickeln. Bei dieser Salome-Darstellung geht es um Wohlstandsverwahrlosung, Schreie nach Liebe, Protest und Traumata. Wenn sie die gegensätzlichsten Emotionen so virtuos und so schnell ausagiert, mit ihrer Stimme so mühelos von großer Lust zu absoluter Niedergegeschlagenheit wechselt, dann glaubt man wirklich eine Person mit Diagnose Borderline-Störung vor sich zu haben.
Niemand kann dieses Wesen im Zaum halten, weder die Mutter Herodias, mit eisiger Gefühlskälte dargestellt von der großen Violetta Urmana, noch der Hauptmann Narraboth, hier der strahlende Tenor von Oleksiy Palchykov. Die Gewissheit, dass in dieser zerrütteten Familie mehr als nur die Kommunikation gestört ist, baut sich langsam auf, bis zu einer beklemmend eindringlichen Ausdeutung von Salomes Schleiertanz.
"Salome" als realistisches Schauerstück
Stiefvater Herodes bedient sich Salome wie einer Anziehpuppe, einem Objekt, das er benutzt und ausstaffiert. Asmik Grigorian wirkt als Salome hier schon wie eine, die sich aufgegeben hat. Ihre Belohnung für den Tanz, der Mord an Jochanaan als Rache am väterlichen Täter. Dmitrij Tchernakov gelingt es, aus der Künstlichkeit der Oper ein realistisches Schaustück zu machen, mit dem man sich identifizieren kann. Auch die Szene, als Salome die Lippen des abgetrennten Kopfes des Propheten küsst, hat hier etwas subtil Schauerliches. Sogar den Jubel hat Tchernakov mitinszeniert: Einmal hebt sich, sehr kurz, der eiserne Vorhang nur für sie: Asmik Grigorian als Salome.