Musical-Star Simon Stockinger tanzt in Hannover
"Berlin Berlin", die Revue der 1920er-Jahre, kommt ins Opernhaus Hannover und ist erschreckend aktuell. Simon Stockinger tanzt mit einem 30-köpfigen Ensemble. Ein Interview.
Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, kriegsgeschüttelte Jahre verwandeln sich in ein weltweites Konjunkturhoch. Eine Zeit bricht an mit Blütezeit in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Die Goldenen Zwanziger sind ein Tanz auf dem Vulkan bis zur Weltwirtschaftskrise. Die Revueshow "Berlin Berlin" versammelt in einem Potpourri an Szenen die Dekade auf der Bühne. Simon Stockinger erzählt als Conférencier vom 11. bis 16. Juli in der Staatsoper Hannover pikante Anekdoten aus Berlin, der Hauptstadt des Lasters und tanzt mit dem 30-köpfigen Ensemble zwischen Wirtschaftskrise und ungebremster Vergnügungslust. Vorher ist der gebürtige Linzer, Simon Stockinger, zu Gast in "NDR Kultur à la carte".
30 Menschen stehen auf der Bühne, das ist ein ziemlich großes Ensemble. Sie sind der Conférencier, also der Admiral. Was ist denn das für eine Rolle?
Simon Stockinger: Ich bin mehr oder weniger der Clubbesitzer, der Admiral, der Palastbesitzer. Meine Figur ist der gegebene rote Faden, der die Figuren präsentiert, wie zum Beispiel Marlene Dietrich, Anita Berber, Josephine Baker, die Comedian Harmonists, Kurt Weill und Bertolt Brecht. Der Conférencier spürt die Zeit. Es geht am Ende auch in die entgegengesetzte Richtung und schließt die Klammer zum Heute. Es ist wirklich eine traumhafte Rolle. Ich bin so ausgefüllt und darf mich austoben. Die Musik bereitet mir so viel Freude. Die Rolle unterhält hoffentlich genauso wie ich es dem Publikum wünsche.
Wie muss ich mir die Rolle als Erzähler vorstellen, wie halten Sie den roten Faden zusammen?
Stockinger: Ich heiße die Leute bei uns willkommen. Ich erzähle Ihnen, in welcher Zeit wir uns befinden, welche Umstände wir haben, was das Leben hier, vor allem in diesem Club, ausmacht, und, dass jeder so sein darf, wie er ist. Die Rolle geht mehr oder weniger sicher, dass jeder einen tollen Abend hat. Der Conférencier bedient sich der Mittel, die so eine Revue bietet: Showtreppen, Effekte und tolle Kostüme. Er genießt das Leben. Ich glaube, das ist ganz wichtig, um diese Party, die wir auf der Bühne haben, mit ins Publikum zu transportieren. Ich geben den Menschen mit, dass sie Teil davon sein dürfen, laut sein dürfen, lachen dürfen und uns anfeuern dürfen. Das Publikum ist 50 Prozent unserer Performance. Man hat nicht immer die Möglichkeit, in einer Show so direkt mit ihm zu kommunizieren. Deshalb genieße ich es umso mehr, dass man sie damit einbinden kann und dass das auch meine Rolle bedingt.
Der Regisseur und Autor Christoph Biermaier sagt, wir erzählen ganz bewusst nicht nur aus der Zeit von 1920, sondern auch aus unserer Gegenwart. Da stehen wir gerade vor großen Herausforderungen. Inwiefern zeigt sich das in der Show?
Stockinger: Es ist für mich ein bisschen erschreckend, ich bin 2021 in diese Show gekommen und da gibt es ein paar Dinge, die der Admiral anspricht, vor allem am Anfang, als er sagt: "Wir haben die Spanische Grippe überlebt". Das wurde auf einmal wahnsinnig aktuell wegen der Coronapandemie. Die Premiere war 2019 und da wusste man noch nicht, was noch kommt. Aber da wir es 2021 wieder aufgenommen haben, hatte dieser Satz eine ganz andere Bedeutung für mich. Damals habe ich auch gesagt, was ist schon eine Inflation, nichts als eine Pause zwischen zwei durchgefeierten Nächten. Dementsprechend war mir dieser Satz 2021 auch von seiner Gewichtigkeit noch nicht bewusst. Jetzt stehen wir in einer Wahnsinns-Inflation.
Gehen Sie darauf ein? Merken Sie im Publikum, dass da dem einen oder anderen ein bisschen das Lachen im Halse stecken bleibt und sie das irgendwie kommentieren müssen?
Stockinger: Das ist in einem sehr frühen Stadium der Show. Ich glaube, die Leute sind noch ein bisschen damit beschäftigt, das überhaupt alles aufzunehmen, was da geliefert wird. Aber ich möchte hier auch betonen, dass wir das nicht reingenommen haben, weil es jetzt gerade aktuell ist, sondern das stand 2019 schon drin. "Tanz auf dem Vulkan" heißt es ja deshalb, weil man auf etwas Brodelndem tanzt, das jeden Moment auszubrechen droht. Ganz viele, ich eingeschlossen, fühlen sich, glaube ich, wieder in eine sehr ähnliche Situation versetzt. Deshalb resoniert das, glaube ich, auch umso mehr, weil wir uns alle danach sehnen, Sicherheit zu haben und an die Zukunft positiv zu denken. Der Realitätsverlust wäre dann unsere Show und auch, was die Leute in den 1920er-Jahren gemacht haben. Realitätsflucht, Drogen, Exzess und Party, dafür standen auch die 1920er Jahre.
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer.