"Hamilton"-Star Ivy Quainoo: Weltbürgerin aus Berlin-Neukölln
In der Hamburger Produktion des Musicals "Hamilton" spielt Ivy Quainoo die Rolle der Eliza Hamilton. Dabei hat die Berlinerin mit ghanaischen Wurzeln zuerst als Popsängerin auf sich aufmerksam gemacht. Ein Porträt.
Ivy Quainoo wird 1992 in Berlin-Neukölln geboren und wächst am Ende der Sonnenallee auf. Der Arbeiterstadtteil genießt nicht den besten Ruf. "In Neukölln aufzuwachsen war nicht so schlimm wie alle dachten, aber es war jetzt auch nicht der sicherste Bezirk Berlins", schmunzelt sie rückblickend. Immerhin: Die Umgebung härtet sie ab. Sie lernt die Körpersprache, die Selbstsicherheit signalisiert, um sich auf der Straße sicher zu geben. Dieser Mut scheint sich auf andere Lebensbereiche zu übertragen.
Erstes Vorsprechen mit 14
Mit 14 geht sie zu ihrem ersten Vorsprechen bei der "Academy Kreuzberg", einer Bühnenkunstschule für Jugendliche. Dabei fällt sie mit der Tür ins Haus. "Eine Cousine hat davon gehört und wir sind kurzfristig hingefahren. Eigentlich muss man sich vorher anmelden, aber die haben uns auch so reingelasse (lacht). Und dann haben wir alle - meine Schwester, meine Cousine und ich - den Zuschlag bekommen."
Zwei Jahre lang besucht sie die Schule, die ihr Interesse am Schauspiel weckt und ihre Gesangstalent fördert. Weswegen sie überlegt, nach dem Abi zu jobben und Gesang zu studieren. Doch es kommt anders. Quainoo nimmt an der ersten Staffel der Castingshow "The Voice of Germany" teil und geht als Siegerin daraus hervor.
Ivy Quainoo: "Ich habe ein Problem mit der Musikindustrie"
Ein paar Jahre ist sie Teil des Musikbusiness, macht damit aber auch Erfahrungen, die in ihr Ohnmachtsgefühle hervorrufen. "Seit ein paar Jahren stecke ich fest. Es gibt Songs, die ich gerne noch veröffentlichen möchte, aber ich habe ein Problem mit der Musikindustrie. Nicht unbedingt die Phase mit ‘The Voice’, aber mit den Plattenfirmen und deren Erwartungen. Ich selbst habe keinen Anhaltspunkt, wie ich ‘nen Song selbst herausbringe. Das ist die Blockade!"
Rassismus-Erfahrungen in New York
Also macht sie etwas, das sie selbst bestimmt: Sie beschließt, Schauspiel in New York zu studieren. Mit gerade 22 Jahren entert sie die Metropole und macht überwiegend gute Erfahrungen. Bis auf diese: Im Oktober 2016 erfährt sie auf dem Schulweg einen rassistischen, frauenfeindlichen Übergriff durch einen republikanischen Wähler, der sie mit dem Auto verfolgt. Quainoo erinnert sich: "Es ist nicht das erste Mal, dass mir Rassismus widerfahren ist. Und normalerweise bin ich da sehr proaktiv, aber in diesem Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Aber vor allem geschah es aus dem Grund heraus, dass Trump wohl die Wahlen gewinnen könnte und deswegen die Leute sich plötzlich ermutigt fühlten, einen auf der Straße, am helllichten Tag, anzugreifen!"
Vielleicht noch schlimmer war die Reaktion ihrer Mitschüler*innen auf das Geschehene. "Viele in der Klasse sind weiß, und die einzige Reaktion, die dann kam, war ein: 'Oh, okay?!' Da war keine Anteilnahme. Weil es einen nicht betrifft. Das hat fast mehr wehgetan."
"Harry Potter"-Musical bringt Ivy Quainoo nach Hamburg
Nach Abschluss der Ausbildung folgen erste Engagements abseits vom Broadway, aber: "Davon kann man in New York nicht leben". Also sucht sie sich Jobs in Deutschland. Der Plan geht auf - fürs Erste. Sie ergattert eine Rolle im Hamburger "Harry Potter"-Musical. Doch dann macht ihr die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Was tun? Sich die nächste Rolle angeln - und die hat's in sich!
Revolutionäres Musical: Weibliche Hauptrolle in "Hamilton"
Quainoo spricht für "Hamilton" vor. Das Musical ist neuartig, an sich revolutionär. Musikalisch zwischen Hip-Hop und R'n'B angesiedelt und überwiegend mit einem BIPOC-Ensemble (Black Indigenous and Person of Colour, Anm. d. Red.) besetzt, spielt sie darin Eliza Hamilton, die weibliche Hauptrolle. Es ist ein Charakter, in den sie sich gut einfühlen kann. "Auf der Schule habe ich gelernt, dass es an sich nichts Schlechtes ist, auf einen Typ festgelegt zu sein. Wenn man den kennt. Ich komme eher tough oder fürsorglich rüber. Allerdings ist das auch ein Typ, der vor allem schwarzen Frauen, die so dunkelhäutig sind wie ich, zugeschrieben wird."
Die Klischees für schwarze Frauen sind bei Eliza aufgebrochen. Sie ist weder die ruppige Kämpferin, noch die Verführerin oder der asexuelle, mütterliche Kumpel. Eliza schillert in ihren eigenen Farben, dargebracht mit der wunderbaren Stimme von Ivy Quainoo, die in dieser Rolle tiefer klingt als sonst.
"Will Frauen und Mädchen erreichen, die so aussehen wie ich"
Doch neuerdings ist Quainoo nicht nur auf der Bühne zu sehen. Ab April läuft auf Disney+ die Serie "Sam - ein Sachse", in der sie eine Anwältin spielt. Und auch ein Spielfilm mit Matthias Schweighöfer kommt bald in die Kinos. Gute Aussichten für Ivy Quainoo, die sich wünscht, noch mehr solcher Rollen zu besetzen. "Ich habe meine Ziele, dass ich bei den richtig großen Filmen dabei sein kann", sagt sie klar und selbstbewusst. Und erklärt, warum sie das möchte: "Ich will so viele Leute wie möglich erreichen und besonders Frauen und Mädchen, die so aussehen wie ich. In Rollen, die nicht so klischeebehaftet sind." Was der willensstarken Weltbürgerin mit Sicherheit gelingen wird.