"Drei Schwestern" in Hamburg: Herzzerreißend und komisch

Stand: 29.04.2023 11:08 Uhr

Anton Tschechows Theaterstücke werden gerade viel gespielt auf den Bühnen. Scheinbar hat der russische Dramatiker und Arzt uns heute Einiges zu sagen. Gestern feierte "Drei Schwestern" am Hamburger Thalia Theater Premiere.

von Peter Helling

"Irgendwie ist meine Seele wie ein verschlossener Tresor, und der Schlüssel, der ist verloren gegangen." Zitat aus "Drei Schwestern"

Rosa Thormeyer leuchtet: Wie diese Schauspielerin mit einem Blick ins Nichts zeigt, dass ihr Leben gerade an die Wand fährt, ist herzzerreißend.

"Ich bin Mitte 20, schon Mitte 20 - und mein Gehirn ist zusammengeschrumpft." Zitat aus "Drei Schwestern"

Auch das Publikum findet es großartig: "Ich war zehn Jahre nicht im Thalia, habe einen neuen Versuch gewagt und ich werde wiederkommen", sagt eine Zuschauerin. "Ganz fantastisch, ich bin ganz begeistert", findet ein anderer Premierenbesucher.

Ein Schauspieler auf der Bühne des Thalia Theaters küsst eine Schauspielerin auf die Wange © Thalia Theater/ Krafft Angerer Foto: Krafft Angerer
AUDIO: 80er-Jahre-Mottoparty mit "Drei Schwestern" in Hamburg (4 Min)

"Drei Schwestern" am Thalia Theater: Wie eine 80er-Jahre-Mottoparty

Regisseurin Anne Lenk setzt bei ihrer ziemlich grellen Inszenierung amThalia Theater voll auf Risiko. Denn dieser Abend sieht eher wie eine 80er-Jahre-Mottoparty aus. Ondulierte Föhnwellen für Männer und Frauen; die Kostüme erinnern an fesche Rosi Mittermaier-Skianzüge. Die drei Schwestern stecken in Schleifen wie menschliche Bonbonnieren. Elf Menschen suchen nach dem Glück. All das spielt in einer abgeschlossenen Box, die von innen mit Monets "Seerosen" bemalt ist.

Was dieses Stück zu einem Theaterfest macht: Es schrammt haarscharf - Föhnwellen-haarscharf - an der Tragödie vorbei. Als wären solche Sätze für heute geschrieben.

"Wo ist die Zeit geblieben, als wir jung und klug waren oder von einer gerechten Welt träumten?" Zitat aus "Drei Schwestern"

 

VIDEO: Thalia Theater bringt "Drei Schwestern" auf die Bühne (2 Min)

Tiefste Provinz, überall Stillstand

Da stehen sie alle, diese Tröpfe von Menschen: drei Schwestern, ein Bruder in einer Garnisonsstadt im Nirgendwo. Tiefste Provinz. Der Ortsarzt liest nur noch Comics, der Lehrer schwadroniert Möchtegern-jugendlich herum.

"Heute geht‘s mir richtig gut, meine Stimmung ist: nice!"
"Oh nein, dieses Buch hast du mir doch schon zu Ostern geschenkt." Zitat aus "Drei Schwestern"

Zum Geburtstag gibt’s langweilige Bücher oder einen Gutschein für eine Reise nach London. Der Bruder spielt Tuba, mehr schlecht als recht. Überall Stillstand. Ein Hauch Kultur kommt nur durch die Offiziere im Ort. Hans Löw spielt einen von ihnen. Sein Lachen klingt trostlos. 

"Und Sie erzählen mir hier, dass Sie zu viel Überflüssiges wüssten." Zitat aus "Drei Schwestern"

 

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Anton Tschechows Stück ohne Russland-Klischee

Dieser Tschechow entspricht so gar nicht dem Klischee: kein Birkenwald, kein Samowar und keine russischen Namen. Rosa Thormeyers Figur Irina heißt hier fast altdeutsch: Ingrid. Oda Thormeyer spielt Ortrud, Cathérine Seifert ist Mechthild. Im Original sehnen sich die Drei "nach Moskau". Das taugt heute im Angesicht des russischen Angriffskrieges nicht mehr. Und so schrammt dieser Krieg indirekt in die Inszenierung hinein.

"Ich mein, ist doch vollkommen grotesk, wer denkt sich denn sowas aus? Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass wir wirklich in den Krieg ziehen. Das ist grotesk." Zitat aus "Drei Schwestern"

Premierenabend zwischen Lachen und Weinen

Das Ensemble spielt zum Verrücktwerden gut. Jede Figur erzählt eine eigene Geschichte. Und immer wieder gefrieren diese traurigen Gestalten in ihren überdrehten Kostümen, als blieben sie im Sumpf ihrer Sehnsüchte stecken. Und am Schluss? Eine der schönsten Liebesszenen der letzten Zeit. Björn Meyer als Baron und Ingrid: Sie sind nicht füreinander bestimmt. Er liebt sie - sie ihn aber nicht. Aber wieso es nicht probieren? Wieso nicht Liebe wagen gegen alle Wahrscheinlichkeit?

Bei diesem Tschechow lacht und weint man gleichzeitig. "Das brauchen wir in dieser Zeit: Sachen, die einen ernsten Hintergrund haben, aber man will lachen, man will es irgendwie lustig angegangen wissen. Gerade das ist hier echt gelungen", findet auch ein Premierengast.

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"Drei Schwestern" in Hamburg: Herzzerreißend und komisch

Anton Tschechows Stück hatte am Thalia Theater Premiere. Ein Abend ohne russische Klischees, aber mit einem begeisterten Publikum.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg
Telefon:
040 - 328 14-444
E-Mail:
theaterkasse@thalia-theater.de
Preis:
ab 8 Euro
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 28.04.2023 | 09:20 Uhr

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