"Der Morgenstern" am Schauspielhaus: Flimmernde Apokalypse
Seine Romane sind absolute Besteller: Karl Ove Knausgård schreibt detailverliebt über sich selbst - und über eine gefährdete Gesellschaft. "Der Morgenstern" feierte gestern die deutschsprachige Erstaufführung im Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
"Was zum Teufel ist das denn für'n - Stern oder was?" Zitat aus "Der Morgenstern"
Qualm weht über die Schauspielhaus-Bühne: Ein Journalist im verschwitzen Hemd und mit öliger Frisur sitzt besoffen auf dem Boden - neben ihm ein Mann, der verdächtig nach dem norwegischen Beststellerautor Karl Ove Knausgård aussieht. Sie starren in den Himmel:
"Ich glaube, das ist Armageddon!" Zitat aus "Der Morgenstern"
Samuel Weiss und Michael Weber spielen zwei ziemlich desolate Figuren in einem Stück, das wahnsinnig viel will und relativ wenig erzählt, findet auch ein Zuschauer: "Zu viel Crossover, ein Misch aus klassischem Katastrophenfilm und Mistery mit zu vielen losen Enden, die dann zum Schluss nicht so richtig verknüpft wurden."
"Der Morgenstern": Endzeitstimmung in Norwegen
Die Apokalypse! Ein Stern steht plötzlich am Himmel, wir sind in Norwegen. Hier nun versammeln sie sich: die gescheiterten Eheleute, eine Wolkenmalerin, eine überforderte Krankenschwester, deren Sohn mit einem Jagdgewehr durchs Bild läuft. Dieses sehr weiße, sehr endzeitliche Personal in einem ungewöhnlich heißen Sommer ist aus den Fugen. Außerdem spielt die Natur verrückt.
"Der Tod ist das Gegebene, er umgibt uns, wo wir auch sind - während das Leben jetzt das Mysterium ist." Zitat aus "Der Morgenstern"
Eine Drehbühne blättert immer wieder neue Zimmer auf: einen Badezimmerspiegel, durch den man in einen Nebenraum blickt, Gänge, Fluchten, eine Küche, wie wir sie alle kennen, ein trübes Hotelzimmer - und darin dieses Menschengewimmel. Seitdem der Stern am Himmel steht, ist alles anders. Auch ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Nur: Diese Apokalypse ist zäh.
"Ich brauch' nur eine Valium, dann komm ich durch die Nacht, verdammt!" Zitat aus "Der Morgenstern"
Karl Ove Knausgårds Roman am Schauspielhaus: Mühevolles Spektakel
Wie immer ist viel los bei Regisseur Viktor Bodo: Da sieht man hautnah, wie Chirurgen in einen Menschenkörper schneiden, der am Ende doch noch lebt - nun, es ist Kunstblut und es sind Plastikorgane. Sei's drum. Das Ensemble wird mit Kameras vervielfältigt auf Videoleinwänden - nicht neu, aber wirksam. Und immer wieder tanzen sie diesen letzten Tanz, während sich die Bühne in ein riesiges Display mit Videokacheln verwandelt, in denen man tanzende Jugendliche sieht. Ganz schön multimedial.
"Das Spektakel ist auch fürs Auge was", findet eine Zuschauerin. Nur: Diesem Spektakel sieht man immer die Mühe an, mit der es entstanden ist. Man merkt mit Ermüdung, wie die Regie hier eine gruselige Endzeitstimmung erzeugen will. Jan Thümer spielt eine schwarz gekleidete Gestalt, die alle Räume wie ein Geist durchschreitet, eine Todesfigur vielleicht. Manchmal grunzt sie wie ein Zombie. Das wirkt dann fast albern.
Das Licht geht einem nicht auf
Die Stärke dieser Erzählsplitter liegt wie so oft im Einzelschicksal. Das kann Viktor Bodo. Julia Wieninger als Pastorin in der Sinnkrise, die sich von ihrem Ehemann trennen will: Indem sie sich in die erste Reihe des Schauspielhauses zwängt wie in ein volles Flugzeug, beginnt eine Reise in ihr Ich. Wundervoll: Markus John, der einen alkoholkranken Vater spielt, der seine Tochter nicht mehr erreicht.
Nur: Warum der Aufwand? Diese Apokalypse nimmt man nicht wirklich ernst. Am allerschönsten ist der Schluss, wenn die Todesfigur auf einen Hebekran steigt - und eine Glühbirne ausschraubt. Dieser Morgenstern hat vielleicht 60 Watt. Der Theaterabend flimmert wie eine Discokugel. Ein Licht geht einem nicht dabei auf.
"Der Morgenstern" am Schauspielhaus: Flimmernde Apokalypse
Karl Ove Knausgårds Roman feierte gestern die deutschsprachige Erstaufführung im Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
-
Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Preis:
- ab 9 Euro