NDR Buch des Monats: "Zwischen Welten" von Juli Zeh und Simon Urban
Juli Zeh und Simon Urban thematisieren im NDR Buch des Monats "Zwischen Welten" die Verrohung der Debattenkultur in Deutschland. Sie zeigen auf, wie unterschiedlich auf gesellschaftliche Fragen geblickt wird.
Juli Zeh zählt zu den erfolgreichsten und produktivsten Autorinnen in Deutschland. Nicht nur die Romane "Unterleuten" und "Über Menschen" waren Bestseller. Auch politisch hat sie sich immer wieder in Debatten eingemischt. Das spiegelt sich in ihrem neuen Buch "Zwischen Welten", das sie gemeinsam mit Simon Urban entwickelt und geschrieben hat.
Früher hätte man das Buch als Briefroman bezeichnet. In der heutigen Zeit gehen Mails und WhatsApp-Nachrichten zwischen Stefan und Theresa hin und her:
Von außen betrachtet sind wir zwei ein ziemlicher Komödienstoff: du der Top-Journalist aus Hamburg, ich die Milchbäuerin aus der brandenburgischen Provinz. Könnte eine ganz lustige Story werden. Leseprobe
Eine Story, die es in sich hat. Schon während des Germanistikstudiums in Münster haben die beiden in ihrer WG viel über Politik diskutiert und gestritten. Dann hat Theresa den Hof ihres Vaters übernommen. Stefan ist stellvertretender Chefredakteur bei der renommierten Hamburger Wochenzeitung "Der Bote" geworden. Jetzt, mit Anfang 40, nehmen sie den Faden wieder auf.
Simon Urban: "Wir sind besorgt über den Zustand der Debattenkultur in Deutschland"
Ihr temperamentvoller Austausch spiegelt, was Juli Zeh und Simon Urban bei ihren Gesprächen festgestellt haben. "Wir sind besorgt über den Zustand der Debattenkultur in Deutschland, wo man sich fragen muss, ob man überhaupt noch von einer Debattenkultur sprechen kann", sagt Simon Urban. "Oder ob es nicht längst eine Unkultur ist." Die Gesellschaft sei gespalten und die verschiedenen Lager oft nicht mehr bereit, miteinander zu reden. Das tun Theresa und Stefan, obwohl sie immer wieder massiv aneinandergeraten.
Theresa kämpft um ihre Existenz, das Überleben ihres Hofes. Stefan ist vergleichsweise gut aufgehoben in seiner elitären Journalistenblase, sieht jedoch zunehmend seinen Beruf in Frage gestellt. "Ihr Journalisten seid in der Besserungsanstalt Bundesrepublik die obersten Erzieher", wirft Theresa ihm vor. Jungen Klima-Aktivistinnen hingegen ist "Der Bote" nicht engagiert genug.
Zeh und Urban sind nah dran an den gesellschaftlichen Debatten. Der Roman liest sich streckenweise wie eine Rückschau auf die vergangenen ein bis zwei Jahre. Es geht um weiße Künstlerinnen, die mit Dreadlocks auftreten und dafür massive Kritik einstecken müssen. Eine Biologin, die einen Vortrag über "Zweigeschlechtlichkeit" halten will und durch Protestierende daran gehindert wird. Einen Offenen Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, den Juli Zeh übrigens unterzeichnet hat. Doch Urban und Zeh blicken darauf durch die Brille ihrer Figuren. "Wir wollen nicht zu bestimmten Meinungsbausteinen Stellung beziehen - das ist absolut nicht die Intention dieses Romans, sondern wir wollen zeigen, wie unterschiedlich man über solche Dinge denken kann", erklärt die Autorin. "Und auf welche Weise es dann zu so unheimlich aggressiven Auseinandersetzungen kommt, was da die Mechanismen dahinter sind."
"Aus der digitalen Spaßgesellschaft ist eine Hassgesellschaft geworden"
Die Rolle von Social Media nehmen die beiden ebenfalls in den Blick. Der Chefredakteur von "Der Bote" bezeichnet eine schwarze Kollegin halb-ironisch als "verehrte Quoten-Schwarze": Ein grausamer Shitstorm entwickelt sich und der Mann verliert mehr als seinen Job. "Aus der digitalen Spaßgesellschaft ist eine Hassgesellschaft geworden", stellt Stefan erschüttert fest.
Theresa verzweifelt zunehmend - vor allem an der Bürokratie - und wird aus ihrer Sicht notgedrungen zur Aktivistin. Zeh und Urban halten den Spannungsbogen über die vielen Mails und Messenger-Nachrichten hinweg aufrecht, dabei spielt Politisches und Privates eine Rolle. Wie schafft es eine Hofchefin, auch noch für die Familie da zu sein? Ist Stefan nicht eigentlich ein ziemlicher Egoist und Feigling?
Juli Zeh und Simon Urban zeigen in "Zwischen Welten": Debatte geht
Zeh und Urban schreiben flott, spitz und porträtieren dabei eine Gesellschaft, die oft Meinung über Fakten stellt. Ein Zeitgeistroman? Ja und nein. "Zwischen Welten" ist fest im Hier und Jetzt verankert, bildet fast schon zu viele Diskussionen ab, kreist aber konsequent um das große Thema: Wie wichtig sind Streit und eine konstruktive Debattenkultur für die Demokratie? Dafür ist die Form des modernen Briefromans gut geeignet, zumal auch Theresa und Stefan in ihren Kurznachrichten manchmal entgleisen. Aber sie zeigen: Debatte geht.
Zwischen Welten
- Seitenzahl:
- 448 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Luchterhand
- Veröffentlichungsdatum:
- 25. Januar 2023
- Bestellnummer:
- 978-3-630-87741-9
- Preis:
- 24 €