Tradition, die fetzt: Weihnachten mit dem Knabenchor Hannover
Ob Weihnachten oder Chorgesang: So manche Tradition kommt nicht aus der Mode. Dennoch müssen ein paar Details hin und wieder neu angeordnet werden.
Für seine Weihnachts-CD "Christmas Around the World" hat sich der Knabenchor Hannover mit verschiedenen Arrangeuren zusammengetan. Gemeinsam haben sie internationale Weihnachtslieder ausgesucht, neu arrangiert und interpretiert. Die Herausforderung bei Weihnachtsprogrammen ist nämlich: trotz der Kleinteiligkeit der bekannten und beliebten Melodien, einen roten Faden in die Gesamtdramaturgie zu bringen. Dieser Idee folgt auch das Album "Christmas Around The World" und versammelt dabei Melodien von Russland bis Katalonien und aus aller Welt. Zugleich nimmt es die Hörerinnen und Hörer mit auf eine Reise einmal quer durch die Musikgeschichte - von der Gregorianik bis zum Christmas-Jazz.
Singen als weihnachtliche Tradition
Zur Tracklist gehört unter anderem das österreichische Weihnachtslied "Still, still, still, weil das Kindlein schlafen will". Dominik Johannes Dieterle hat es bearbeitet und nun klingt es ein bisschen nach Slow Motion, ein bisschen nordisch wie von Ola Gjeilo und ein bisschen nach Eric Whitacre.
Rund um die Welt ist singen wahrscheinlich die Tradition, auf die sich alle Kulturen und Gesellschaften einigen können. Dabei ist nicht nur der reine A-cappella-Gesang gemeint. Beliebt sind vor allem auch Blechblasensembles. Auch dem kommt der Knabenchor Hannover nach und hat seine Weihnachts-CD gemeinsam mit London Brass aufgenommen. Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Knabenchor Hannover werden sie sogar gemeinsam auf Tournee gehen. Vom 8. bis 15. Dezember 2025 spielen sie "Christmas Carols und Weihnachtslieder" - die schönsten Advents- und Weihnachtslieder aus Großbritannien und Deutschland.
Für das schöne Ergebnis sorgt die ganze Mannschaft
Ein ganz traditionelles deutsches Adventslied hingegen ist "Maria durch ein Dornwald ging", ursprünglich ein Wallfahrtslied aus dem katholischen Eichsfeld. Es erzählt die Legende, wie Maria, schwanger mit dem göttlichen Kind, durch einen abgestorbenen Dornwald geht, als Sinnbild der Lebensprüfung und des Todes. Im Vorbeigehen beginnt der Wald zu blühen. Die weiteren Strophen umkreisen in katechetischer Frage- und Antwortform das Geheimnis der Menschwerdung Gottes und vermittelt zugleich Hoffnung und Trost, indem die Stärke und der Glaube Marias hervorgehoben werden.
Das lässt sich auch hören: Der Schluss, von den höheren und tieferen Stimmlagen gemeinsam gesungen, erstrahlt hell und hoffnungsfroh. Für ein solch homogenes Ergebnis ist es wichtig, zuhören zu können und die eigene Stimme in den Gesamtklang einzubauen. Jörg Breiding sagt: "Beim Sport dreht sich alles um den 'Man of the Match', der das Tor geschossen hat. Aber beim Ensemble geht es darum, als gesamte Mannschaft, gemeinsam das schöne Ergebnis zu erzielen. Ein Chor klingt eben nur dann gut, wenn man nicht Einzelne heraushört."
Ein neues Zuhause nach über 50 Jahren
Der Knabenchor Hannover zählt seit mehreren Jahrzehnten zu den herausragenden Chören seines Genres. Sein Repertoire umfasst Werke der venezianischen Mehrchörigkeit bis hin zu zeitgenössischen Kompositionen; mit Fokus auf Kompositionen des 17. und 18. Jahrhunderts, insbesondere die Werke Heinrich Schütz' und Johann Sebastian Bachs im Zentrum der Arbeit. Nach über 50 Jahren am Standort Meterstraße in der hannoverschen Südstadt hieß es für den Knabenchor Abschied nehmen. Der Blick zurück und nach vorn sei gefärbt von Wehmut und zugleich auch Zuversicht, heißt es seitens des Chores. Nach einem aufwändigen Umzug ist seit Anfang Oktober alles am neuen Standort angekommen: dem Campus Knabenchor Hannover in der Plüschowstraße 4.
Der Knabenchor hat schon mit der Himmlischen Cantorey, dem Hilliard Ensemble oder dem Ensemble Cantus Cölln auf der Bühne gestanden. Er wurde in Workshops der King's Singers unterrichtet und hat mit dem Amsterdam Baroque Orchestra oder der Akademie für Alte Musik Berlin und mit Bläserensembles wie Canadian Brass oder London Brass gemeinsame Konzerte gestaltet. Immer wieder wird der Knabenchor Hannover von namhaften Orchestern für die Aufführung großer sinfonischer Werke engagiert - so auch bei den KunstFestSpielen Herrenhausen für Leonard Bernsteins "Mass". Bedeutende Dirigenten wie Christoph Eschenbach, Philipp Herreweghe und Simone Young haben mit dem Chor zusammengearbeitet und mit der NDR Radiophilharmonie verbindet ihn eine regelmäßige und intensive Zusammenarbeit.
Eine Schule fürs Leben
Zum einen kommen zu einem Knabenchor regelmäßig neue junge Sänger hinzu, zum anderen fallen ebenso absehbar die älteren aufgrund des Stimmbruchs aus oder singen in tieferen Stimmgruppen weiter. Das sei die Herausforderung der Arbeit mit einem Knabenchor, so Jörg Breiding: mit Stimmen zu planen, die auf kurz oder lang die Stimmgruppe wechseln oder erst noch zum Chor hinzukommen. Der große Vorteil aber sei, dass alle voneinander lernen und er als Chorleiter oft sehr unmittelbare Rückmeldungen bekommt. Diese fallen allerdings nicht immer positiv aus: "Manchmal gibt es sofort Lieblingsstücke, wenn wir ein neues Programm erarbeiten. Aber manchmal gibt es ein haltloses 'Oah ' - es sind ja Kinder und Jugendliche, die nicht hinter dem Berg halten mit ihrer Meinung. Dann braucht es Zeit, und ich versuche ihnen beizubringen, dass sie das Stück erst bewerten sollen, wenn wir es können, wenn wir es einmal richtig gut gesungen haben."
In eben diesem Sinne lernen die Knaben mehr als das Singen. Für Breiding ist die musikalische Komponente explizit nur ein Teil der Chorarbeit - da sie in der prägenden Zeit des Erwachsenwerdens stattfindet. Er sieht die Singschule auch als Schule des Lebens: "Sie lernen hier Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Geduld und sich auch mal zurückzunehmen."
Tradition neu arrangiert
"Veni, veni Emmanuel" ist ein traditionelles französisches Weihnachtslied, das die Sehnsucht nach der Ankunft des Erlösers ausdrückt. Es schließt inhaltlich an Rutters "Magnificat" an, denn es basiert auf einer Paraphrase von fünf der sieben O-Antiphonen, jenen Wechselgesängen in der katholischen Liturgie, die zum Magnificat in der Vesper an den letzten sieben Adventstagen vor dem Heiligen Abend gesungen werden. Wenngleich es tief in der christlichen Adventstradition verwurzelt ist, der Knabenchor Hannover hat auch diese gregorianischen Klänge in die Jetztzeit geholt. Denn die Knaben singen es in der modernen Fassung von Johannes Kohlmann, die die zeitlose Botschaft des Originals mit frischen Klängen verbindet.
Weihnachtstraditionen beim Knabenchor
Das Ritual des Knabenchores in der Weihnachtszeit, so Breiding, ist "der lange Probensamstag, wo es heißt: Bringt ein bisschen Kuchen mit, damit wir es uns auch gemütlich machen können." Denn im Advent stehen die Marktkirchen-Weihnachtskonzerte an - die jedes Jahr ausverkauft sind! Als Education-Projekt bietet der Knabenchor ein Familienkonzert an, für Kinder ab 6 Jahre und ihre Eltern. "Weil wir die Musik, die wir mögen, gern weitergeben und die nächsten Generationen dafür begeistern möchten", erklärt Breiding. Das Konzert ist moderiert, alle singen sich gemeinsam ein, die verschiedenen Chorstimmen werden vorgestellt - "das ist immer ganz wunderbar", freut sich der Chorleiter. Eine weitere Tradition ist nach dem Weihnachtskonzert die gemeinsame Weihnachtsfeier mit dem Männerchor.
2023 gehörte zur Dezember-Tradition des Knabenchores auch die Aufführung der Weihnachtskonzerte mit der NDR Radiophilharmonie. Auf dem Programm stand "Die Geburt Christi", der Erste Teil aus "Christus", dem unvollendeten Opus 97 von Felix Mendelssohn Bartholdy. "Nach den Weihnachtskonzerten beschließen wir das Jahr traditionell mit der Christvesper in der Marktkirche, Heiligabend 18 Uhr mit dem Landesbischof." Das nächste Ritual findet dann am 2. Januar statt: "Wir fahren ins Trainingslager zur Singfreizeit für meistens fünf Tage. Manchmal liegt Schnee und die Kinder können ein bisschen rodeln", erzählt Breiding weiter, "und dann geht's mit neuem Programm in die neue Saison."