"Wo der spitzeste Zahn ...": Literarische Sensation von Julia Jost
Das österreichische Bundesland Kärnten hat schon viele große Dichter hervorgebracht. In diese Ahnenreihe stellen kann man nun Julia Jost mit ihrem Debütroman "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht".
"Das geht doch nie über Bodenbach hinaus", soll Max Brod ausgerufen haben, als er Texte von Franz Kafka kennenlernte. Wir wissen es inzwischen: Es ging. Bei Julia Jost war mein allererster Gedanke: Das versteht doch nur jemand, der Kärnten kennt. Hoffen wir auch hier das Beste. Die Dialektpassagen, die in den Text eingeflochten sind, werden dezent im jeweils folgenden Absatz übersetzt. Aber sie sind wichtig, um sich in den Tonfall in der Kärntner Provinz einzufinden.
Das Aufwachsen auf dem Gratschbacher Hof
Wir begleiten ein Mädchen, das irgendwo hinter Feldkirchen auf dem Gratschbacher Hof aufgewachsen ist.
Die Gratschbacher Gegend ist ein Wald ohne Augen. Ohne Sträucher und Äste, die sich hinter deinem Rücken raschelnd zusammenbiegen, um die Todesangst vorzubereiten, die sie gleich in dir auslösen werden. Einen sprechenden Wolf gibt es auch nicht. Der dir geifernd zusieht, wie du Tellereisen jagst. Hinterlist und Bosheit sind, auf diese Fauna wie Flora bezogen, Kokolores. Mit einem Wort meiner Mutter ausgedrückt. Der Gratschbacher Wald und die Felder, die Wiesen, der Teich sind eine ganz übliche Summe aus Pflanzen, Wasser und Tieren, die darin wohnen. Sonst nichts. Das ist alles, was es mit der Gratschbacher Gegend auf sich hat. Leseprobe
Gefährlich sind nur die Menschen. Die Ich-Erzählerin beschreibt den Tag, an dem eine Gruppe von Kindern den Franz Ruck, ein gerade erst zugezogenes Kind, in einen Brunnen abseilte. Das Kind kam dabei ums Leben. Auf diese Tragödie kommt das sich erinnernde Mädchen immer wieder zurück. Alle im Dorf sind danach auf je unterschiedliche Weise traumatisiert.
Die Probleme eines elfjährigen Mädchens
Die Familie des Mädchens wird den Gratschbacher Hof verkaufen und wegziehen. Beide Elternteile kommen aus kargen Verhältnissen, aber der Vater hat es durch den Handel mit Lastwagen zu einem kleinen Vermögen gebracht, und vor allem die Mutter möchte in die bürgerliche Oberschicht aufsteigen. Dazu gehört unter anderem Klavierunterricht für die Tochter. Der Lehrer - davon ist das Kind überzeugt - hasst sie, seine schlechteste Schülerin:
Wenn meine Mutter einmal nicht beim Unterricht dabei sein konnte, wurde er grob und klopfte mir auf die Finger. Wegen meiner geschicklosen Fingerhaltung, es meiner verhuscht angeschlagenen Töne bei ausnahmslos jeder Etüde. Leseprobe
Das Versagen beim Klavierspiel ist noch das geringste Problem, mit dem das Kind zu kämpfen hat. Das Mädchen wäre lieber ein Bub und es liebt ein anderes Mädchen.
Julia Josts Roman ist sprachlich brillant
Es gibt in diesem Roman heftige Szenen, die das oft unfassbare raue Miteinander in dem dörflichen Umfeld großartig einfangen. Die Liebe der Ich-Erzählerin zu Luca, die aus Bosnien stammt, bildet das Gegengewicht. Das ist das Drachenblut, in dem sie baden kann.
Dann flüsterte sie mir ins Ohr, dass sie es in ihrem Leben nicht so weit gebracht hätte, wäre sie immer vernünftig gewesen und küsste mich. Durch den Kuss waren meine Wunden unmittelbar geheilt. Leseprobe
Der Roman von Julia Jost ist sprachlich brillant, unbestechlich in seiner Wahrhaftigkeit und eine literarische Sensation. Allerdings handelt es sich um Schwarzbrot, etwas zum Durchbeißen.
Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
- Seitenzahl:
- 234 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43167-2
- Preis:
- 24 €