"Vom Verschwinden der Arten": Kampf um die Zukunft der Menschheit
Es besteht kein Grund zum Fatalismus, aber jeden zur Eile: Das Sachbuch "Vom Verschwinden der Arten" der Biodiversitätsforscherin Katrin Böhning-Gaese gibt einen fabelhaften Überblick und macht Hoffnung.
Krieg, Klimakrise, Energiekrise, Inflation - positive Nachrichten sind rar gesät. Und nun kommt noch eine Krise dazu: die der Artenvielfalt. Das Sachbuch "Vom Verschwinden der Arten" ist eine Bestandsaufnahme und überbringt gleichzeitig eine gute Nachricht. Denn die Autorinnen Böhning-Gaese und Bauer sind überzeugt, dass wir die Artenvielfalt und damit uns selbst retten können.
Verheerende Aussterberaten der Tiere - etwa von Geiern
Die Dringlichkeit ihres Anliegens machen die Autorinnen des Buches gleich zu Beginn deutlich. So steht dort, nach wenigen Seiten:
Die Aussterberaten liegen heute mindestens zehn bis hundert Mal über der durchschnittlichen Rate der letzten zehn Millionen Jahre, einzelne Quellen gehen sogar vom Tausendfachen aus. (S.16) Zitat aus dem Buch
Kein Schöner Ausgangspunkt. Die Biodiversitätsforscherin Katrin Böhning-Gaese und die Journalistin Friederike Bauer setzen auf klare Aussagen und machen das Sterben der Arten dennoch erlebbar: So erzählen sie auch als ein Beispiel die Geschichte der indischen Geier.
Noch vor 30 Jahren zählten sie demnach zu den häufigsten Greifvögeln der Welt, befreiten die Straßen von Aas, in Indien fraßen sie auch die Überreste verendeter heiliger Kühe. Bis das Schmerzmittel Diclofenac in der Tiermedizin Einzug hielt. Es führe bei Geiern zu Nierenversagen, heißt es in dem Buch, sei giftig wie Zyankali für den Menschen.
Innerhalb von 15 Jahren sanken die Bestände dreier Geierarten in Indien um mehr als 95 Prozent. Infolgedessen wurden Kühe nicht mehr wie früher auf natürlichem Weg beseitigt. Und - vielleicht noch schwerwiegender - die Zahl der verwilderten Hunde nahm zu, weil sie mehr Aas fressen konnten. (S. 27)
"Beim Artenschutz geht es darum, ob wir als Menschheit auf der Erde überleben"
Diese Hunde wiederum bissen Menschen und steckten sie mit Tollwut an. In der Folge seien fast 50.000 Menschen gestorben. Auch in der Europäischen Union sei das Mittel in der Tiermedizin freigegeben, der erste daran verendete Geier 2020 gefunden worden. So hat das Sterben einer einzigen Art laut der Autorinnen immense Auswirkungen auf das gesamte Gleichgewicht, sagt Boehning - Gaese und drückt die Dimension so aus: "Beim Schutz des Klimas geht es darum, wie wir als Menschheit in Zukunft auf der Erde leben. Beim Artenschutz geht es darum, ob wir als Menschheit auf der Erde überleben."
Die Biodiversität geht aber beim Blick Richtung Bewältigung der Klimakrise oft unter, warnen die Autorinnen. So hat es bis Dezember 2022 gedauert, bis die Staatengemeinschaft der Welt beim Weltnaturgipfel im kanadischen Montreal ein globale Rahmenübereinkunft zu Biodiversitätszielen bis 2030 verabschiedet hat. Im Buch steht:
Doch nicht nur das Zustandekommen der Übereinkunft ist erfreulich, die Inhalte sind überraschend gut, selbst wenn sie in Gänze nicht das hervorgebracht haben, was die Wissenschaft für nötig erachtet. (...) Zu ihnen zählt prominent die Vorgabe, bis dahin dreißig Prozent der Erdoberfläche, an Land und im Meer unter Naturschutz zu stellen. Das ist in der Tat ein Novum. Es bedeutet, dass sich die geschützten Flächen an Land nahezu verdoppeln müssen, bei den Meeren fast vervierfachen. (S. 149)
Renaturieren: Artenvielfalt kann sich relativ schnell erholen
Ambitionierte Ziele also, die von der Politik angegangen werden müssen. Aber Artenschutz sei auch eine gesellschaftliche Aufgabe, wie Böhning-Gaese erläutert: "Das heißt, wir brauchen wirklich eine Transformation der ganzen Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und von unserem eigenen Verhalten. Das Gute ist, dass die Schritte dann im Einzelnen gar nicht mehr so riesig sind."
Und: die Artenvielfalt kann sich relativ schnell erholen. "Wir müssen renaturieren, wir müssen aber auch unsere Landwirtschaft verändern und die Biodiversität freundlicher machen." Aber das bedeute auch, weil wir letztlich damit Fläche bräuchten für Schutz und nachhaltige Landwirtschaft, dass wir auf der Verbraucher*Innenseite ansetzen müssten, so die Autorin. "Wir müssen unser Konsumverhalten ändern, weniger Lebensmittelverschwendung und vor allen Dingen müssen wir unser Ernährungsverhalten ändern. Deutlich weniger Fleischkonsum und wieder zurück zum Sonntagsbraten."
Intelligentes Sachbuch voller konstruktiver Ideen
Konsumverhalten, Verschwendung, Fleischkonsum. Themen, die auch bei der Bewältigung der Klimakrise immer auftauchen. Und so fordert die Wissenschaftlerin Böhning-Gaese, ganzheitlich zu denken und zu Handeln: "Letztlich hängen die Krisen miteinander zusammen. Das ist klar, aber die Lösungen hängen auch miteinander zusammen, und es gibt eben Lösungen. Damit gehe ich einmal das Artensterben, aber auch den Klimaschutz an. Und das Wichtige ist, dass wir eben Lösungen verfolgen, die uns aus diesen ganzen Krisen auf einmal rausführen und nicht zulasten von einer dieser Krisen gehen."
Zu Beginn des Buches möchte man es gleich wieder weglegen: Noch eine Krise, noch eine Herausforderung - wieder ist Seite um Seite zu lesen, dass die Menschheit nach und nach das Leben auf der Welt ausrottet und sich damit am Ende selbst abschafft.
Aber es fehlt im Buch nicht an konstruktiven Ideen und Vorschlägen. Und so ist es ein intelligentes Werk, das einen sehr guten Überblick gibt und Hoffnung macht. Am Ende fassen die Autorinnen ihre Kernaussage selbst zusammen: "Es besteht mithin kein Grund für Fatalismus, aber ein Gebot zur Eile."
Vom Verschwinden der Arten
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Co-Autorin: Friederike Bauer
- Verlag:
- Klett-Cotta
- Bestellnummer:
- ISBN: 978-3-608-12137-7
- Preis:
- 17,99 €