"Mama, bitte lern Deutsch!": Tahsim Durguns "Deutschbuch" über Einwandererfamilien
In seinem preisgekrönten Buch "Mama, bitte lern Deutsch!" erzählt der Oldenburger Social-Media-Comedian Tahsim Durgun von seiner Mutter - der Königin der Metaphern - und von seiner ausgeprägten Liebe zu deutscher Grammatik.
"Hifa" ist ein Wort, das es im Deutschen eigentlich nicht gibt. Wer "Hifa" sagt, gehört ziemlich sicher zu denen, die Tahsim Durgun auf Instagram oder Tiktok folgen. Der 29-Jährige hat Deutsch und Geschichte in Oldenburg studiert, allerdings steht er nicht wie geplant als Lehrer im Klassenraum, sondern ist Social-Media-Comedian mit einer ausgeprägten Liebe zu deutscher Grammatik. Was seine Mutter damit zu tun hat und die Ausländerbehörde, das kann man nachlesen in seinem Buch, das in dieser Woche erscheint.
- Mama, was ist das? - Hifa! - Aus unerfindlichen Gründen sagt meine Mutter zu Hefe Hifa.
- Mama was ist das? - Pfeffermiste!
- Meine Mutter lebt seit über 30 Jahren in Deutschland und kann immer noch kein Deutsch.
- Nicht 30, 36 Jahre.
- Ja , das macht's ja noch schlimmer!
Zitat aus Durguns Social-Media-Videos
Mutter ist heimlicher Star der satirischen Videos
Seine Mutter ist nie zu sehen in Tahsim Durguns satirischen Videos, aber sie ist der heimliche Star. Mitunter spricht er mit ihr in einer Ruppigkeit, die an einen AfD-Enthusiasten im Straßenwahlkampf erinnert. Und sie antwortet mit unbeholfen formulierter Ehrlichkeit ganz ohne Säuselei: "Ich hab dich lieb!" und "Danke Tahsim!"
200 Seiten hat das Buch, das Tahsim Durgun jetzt über sich, seine Familie und seine Mutter geschrieben hat: "Mama, bitte lern Deutsch", heißt es. Und trotz dieser Aufforderung liest es sich eher als ein Appell an uns, die wir Frauen wie Tahsims Mutter übersehen, von ihnen genervt sind oder glauben, ihr Platz sei am familiären Küchentisch.
Jeder von uns kennt eine Person wie meine Mutter.
Die schüchterne, aber freundliche Frau, die abends das Büro putzt? Meine Mutter.
Die Frau mit dem Kopftuch, die an der Aldi-Kasse den Verkehr aufhält, weil sie nicht einsehen will, dass sie nur eine bestimmte Anzahl von Hefewürfeln kaufen darf? Meine Mutter.
Die penetrant laute Person an der Bushaltestelle, die Sonnenblumenkerne knackt? Meine Mudder. Eine Frau, die als "Nebendarstellerin", oft sogar als "Laiin" unserer Gesellschaft wahrgenommen wird.
Zitat aus dem Buch
Mama: Was sind Alliterationen?
Und weil Tahsim Durgun schließlich Germanistik studiert hat, tragen die Kapitel Überschriften wie: "Mama, was sind Alliterationen? Was ist ein Kompositum und was ein Fremdwort?" Und er dekliniert und konjugiert sich durch seine Schulzeit in Oldenburg. Wo die zartbesaiteten Erdbeermilchabonnentinnen aus der Klasse entsetzt reagieren, wenn er nach ihren Reisebeschreibungen von seinem Sommerferien-Highlight erzählt: Einer Schafschlachtung beim Onkel in Hannover inklusive Verzehr. Oder wenn er an jedem Freitag zum Nachhilfe-Deutschunterricht zitiert wird, wo er Erstklässler-Arbeitsblätter ausfüllen muss und angebrüllt wird, wenn er Fragen stellt. Oder die Fußwaschung in der ersten Religionsstunde.
Natürlich saßen wir für diesen Anlass in einem Stuhlkreis. Ich glaube ja, gleich nach dem akribischen Aufteilen von Restaurantrechnungen sind Stuhlkreise der Deutschen heiligstes Gut. Weiße Deutsche fühlen sich wohl in Kreisen: Kreisversammlungen, Kreißsäle, Landkreise, Morgenkreise, Plumpsack spielen oder Vorstellungsrunden, bei denen man sich als Tier vorstellen muss – all das machen sie gerne in Form eines Kreises. The circle of life etwas zu ernst genommen! Zitat aus dem Buch
"Süße braucht Zeit" - Mutter ist Königin der Metaphern
Das Leben schmeckt manchmal bitter, denn die Süße braucht Zeit, sagt die Mutter zu ihm und seinen drei Geschwistern, wenn die sich über die Bitternis der Gurken aus dem eigenen Garten beschweren. Denn eigentlich ist die Mutter eine Königin der Metaphern. Sie ist die kurdische Poetin im Hof des trostlosen Oldenburger Wohnblocks.
Und als der Sohn sie verzweifelt fragt, warum das denn nicht klappt mit dem Deutsch und wovon sie träumt, da sagt sie: "Ich traue mich nicht zu träumen. Ich wurde nicht dafür gemacht." Tahsim muss dolmetschen beim Arzt, beim Elternsprechtag, bei der Ausländerbehörde. Schon mit fünf bekommt er als jesidischer Kurde den ersten Ablehnungsbescheid.
Seit diesem Tag betrachtete ich die Besuche bei der Ausländerbehörde als einen Leistungssport, für den ich diszipliniert trainieren musste. Ich lernte intensiver Deutsch. Ich begann, Bücher zu lesen - und irgendwann auch Zeitungen. Nicht, weil diese Medien das "1 × 1 How to Survive Ausländerbehörde" enthielten, sondern weil ich mir die Sprache der Menschen aneignen wollte, die über uns verfügen konnten. Ich wollte dafür sorgen, dass ich, dass wir, irgendwann genug sein würden. Zitat aus dem Buch
Seine Familie, schreibt Tahsim Durgun, sei wie Carmen Geiß: erschreckend laut und trotzdem liebevoll. Aber sie ist auch mit einem besonderen Humor-Gen gesegnet. Trotz der letzten dreißig Jahre. "Mama, bitte lern Deutsch" erzählt von Alliterationen: Angst, Andersartigkeit, Abfälligkeit. Von Nomen: (der) Asylantrag, (das) Ausländerkind, (die) Existenzangst. Und es erzählt von allem, was Worte bewirken.
Tahsim Durgun ist zu Gast in der nächsten Folge des NDR Kultur Bücherpodcasts "eatREADsleep" und in der NDR Talk Show am 7. März.
Mama, bitte lern deutsch!
- Genre:
- Autobiografischer Roman
- Verlag:
- Knaur
- Bestellnummer:
- 978-3-426-56114-0
- Preis:
- 18 €
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Romane
