Lauren Groffs "Die weite Wildnis": Mitreißender Abenteuerroman
Der neue Roman der amerikanischen Autorin Lauren Groff spielt im frühen 17. Jahrhundert an der amerikanischen Ostküste. Es geht um eine junge Frau, die ihre Zukunft selbst bestimmen will.
So hatten sich die englischen Siedler die Landung nicht vorgestellt: Statt in Reichtum zu schwelgen, mussten sie hungern. In der gefrorenen Erde konnten sie nicht mal ihre Toten begraben. Sie hatten den Widerstand der amerikanischen Ureinwohner unterschätzt, auf deren Land und Bodenschätze sie scharf waren.
Auf der Flucht durch die Wildnis
Zu den Neuankömmlingen zählte ein Paar mit seiner behinderten kleinen Tochter Bess und einer Dienstbotin. Die hatte ihre ersten vier Jahre im Waisenhaus zugebracht, bis die Herrin sie aufnahm und ihr das Singen beibrachte. Meistens hieß sie nur "das Mädchen". Vor allem sollte sie sich um Bess kümmern, das sich nur zögernd entwickelnde Baby - da war das Mädchen selbst noch ein Kind.
Es war keine dienende Arbeit, sondern eine liebende und daher eigentlich fast gar keine Arbeit; sie trug das Baby herum, hielt es trocken und sauber und brachte es der Amme und wiegte es in den Schlaf (…) die Dienstherrin hätte als Mutter kaum gleichgültiger sein können. Leseprobe
Und jetzt, in der Fremde, ist Bess gestorben. Das Mädchen trauert um das Liebste, das sie je hatte. Sie will weg aus dieser elenden Hungersiedlung, stiehlt ein Messer, ein Beil, einen Becher und die Stiefel eines an Pocken verstorbenen jungen Mannes. Hektisch kämpft sie sich aus Angst vor Verfolgern durch die Wildnis. Dem Fluss folgend strebt sie nach Norden, dort sollen Franzosen wohnen, die an den selben Gott glauben wie sie. Wir wissen noch nicht, warum das Mädchen flieht. Erst später, fast nebenbei, lässt Lauren Groff das Wort Mörderin fallen. Bis dahin lernen wir ein allen Gefahren trotzendes Mädchen kennen. Sie ernährt sich von Pilzen, Beeren und Flusskrebsen.
Das Mädchen will überleben
Einmal trifft sie auf einen weißen Einsiedler, einen Jesuiten, der hier vor 40 Jahren ein Gemetzel überlebt hat. Aufgeschreckt wirft er einen schweren Stein nach ihr. Das Mädchen hat anhaltend hohes Fieber und jetzt auch noch eine Gehirnerschütterung. Nur die Erinnerung an den holländischen Glasbläser, den sie auf der Überfahrt kennengelernt hat, gibt ihr noch Kraft. Der erste Mann, der ihr liebevoll begegnet ist und ihr ungeahnte körperliche Wonnen verschafft hat. Sie will überleben.
Sie würde sich einen neuen Namen geben, geboren aus ihrem Kampf hier in diesem neuen Land. Es kam ihr falsch vor, namenlos durch diese Wildnis zu wandern; sie fühlte sich, als würde sie ohne Haut durch die Welt gehen. Leseprobe
"Die weite Wildnis": Mitreißende Lektüre
Lauren Groff reizt ihren expressiven Stil aus. Sie lässt die eisigen Hagelschläge erahnen, die sich nähernde Bärin und die Einsamkeit. Einmal sieht das Mädchen aus der Ferne eine Frau - von den Siedlern als gefährliche Wilde verdammt. Sie sehnt sich nach der Begegnung, aber die Frau wendet sich ab.
Manchmal trägt Groff zu dick auf. Wir haben längst verstanden, dass das Fieber bedrohlich wird und auch, dass die Siedler in ausbeuterischer Absicht gelandet sind. Wiederholung überflüssig. Die Lektüre ist trotzdem mitreißend. Wir erleben eine junge Frau, die ihre Zukunft selbst bestimmen will, die religiöse Dogmen als untauglich durchschaut und begreift, dass sie ohne Licht und Gemeinschaft nicht überlebt. Lauren Groff hat einen unerwartet aktuellen Roman geschrieben.
Die weite Wildnis
- Seitenzahl:
- 285 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs
- Verlag:
- Claasen
- Bestellnummer:
- 978-3546100359
- Preis:
- 25 €