"Im Schatten der blauen Pferde": Roman über die (Un-)Freiheit der Kunst
Der Hamburger Kunsthistoriker Uwe Fleckner hat eine fiktive Geschichte darüber geschrieben, was mit Franz Marcs verschollenem Gemälde "Der Turm der blauen Pferde" passiert sein könnte.
Mittagessen bei Hitler. Es gibt Kartoffeln mit Leinöl und Quark, dazu Salat. Zu Gast ist der Bildhauer Arnold Waldschmidt. Er ist Teil des Systems. Aber er setzt sich auch für Franz Marc und sein Bild "Der Turm der blauen Pferde" ein. Marc ist da schon lange tot, aber das Gemälde ist Teil der Ausstellung "Entartete Kunst", mit der die Nazis zeigen wollen, was undeutsche Kunst ist.
Der Mann ist in Ausübung seiner Pflicht 1916 an der Westfront bei Verdun gefallen. (…) – Was sie nicht sagen. – (…) nun herrscht im Traditionsregiment seiner Einheit (…) große Empörung. (…) – Aber das Gemälde ist zweifellos entartet, völlig undeutsch das Bild. – (…) Das mag sein, mein Führer, aber einen deutschen Leutnant, der auf dem Feld der Ehre sein Leben gelassen hat, so bloßzustellen… Leseprobe
Hitler lenkt ein. Befiehlt das Bild aus der Ausstellung entfernen zu lassen. Ein Moment, den Uwe Fleckner im Roman schildert.
Uwe Fleckner erzählt auf mehreren Zeitebenen
Dass es sich so zugetragen hat, ist unwahrscheinlich. Das Gemälde, mehrere blaue Pferde hintereinander stehend, als würden sie sich türmen, wird damals tatsächlich aus der Ausstellung genommen. Ein mächtiger Mann kauft es, aber heute weiß keiner mehr, wo es ist. "Wenn wir das wüssten, hätte ich vermutlich den Roman nicht geschrieben. 1938 ungefähr. Dort ist es dann in den Besitz von Hermann Göring gekommen, dem zweiten Mann im nationalsozialistischen Staat. Offenbar wollte er das Werk nutzen, um es gegen alte Meister auszutauschen. Das ist aber offenbar gar nicht geschehen", sagt Autor Uwe Fleckner. Er ist Kunsthistoriker an der Uni Hamburg und hat die Forschungsstelle "Entartete Kunst" gegründet.
In seinem Roman erzählt Fleckner auf mehreren Zeitebenen. In der Gegenwart, wo ein Kunsthistoriker einem Verdacht nachgeht. Und in verschiedenen Momenten in der Vergangenheit. So macht der reale, erfolglose, nationalsozialistische Maler Wolfgang Willrich Stimmung gegen Künstler wie Franz Marc und andere - bei Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich.
Also hier, Dix heißt der Mann, das ist doch Wehrkraftzersetzung, Sabotage ist das (…) Goebbels schüttelte den Kopf, abscheulich, in der Tat. (…) Leseprobe
"Das ist historisch belegt, sehr gut belegt, in vielen Dokumenten", so Fleckner. "Die ganzen Künstler, die in der Weimarer Republik nicht zum Zuge kamen, weil sie diesem modernen Stil nicht folgen konnten, die sahen jetzt ihre große Stunde gekommen."
"Im Schatten der blauen Pferde": Spannend, flott und auch berührend
Man lernt richtig was in diesem Roman. Es ist nicht einfach nur Geschichtsstunde oder Schnitzeljagd nach einem verschollenen Gemälde. Das Bild ist eigentlich nur Anlass, um über die Freiheit und Unfreiheit der Kunst und so zugleich über die Freiheit und Unfreiheit der Menschen zu erzählen. Das ist nicht immer geschliffen elegant geschrieben, aber immer spannend, flott und auch berührend. Uwe Fleckners Motivation war seine bisher vergebliche Suche nach Franz Marcs Bild: "Als Kunsthistoriker ist natürlich irgendwann der Punkt gekommen, wo die Frustration so groß ist, dass dieses Werk nicht mehr da ist. Diese Frustration musste irgendwie sublimiert werden. Und die Idee war dann eben, einen Roman zu schreiben, der eine literarische Wahrheit findet."
Am Ende stellt Uwe Fleckner eine Theorie auf, was denn nun mit Franz Marcs "Der Turm der blauen Pferde" passiert ist. Vielleicht war es nicht so, aber vielleicht ja doch.
Im Schatten der blauen Pferde
- Seitenzahl:
- 368 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- C. Bertelsmann Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-570-10474-3
- Preis:
- 25 €