"Hunger": Knut Hamsuns berühmter Roman neu übersetzt
Ulrich Sonnenberg hat den schwierigen, störrischen, an den Nerven zerrenden Text von Knut Hamsun ebenso rau und ruppig übersetzt, wie es sein sollte.
Mit seinem Roman "Hunger" gilt Knut Hamsun als ein Vorreiter des modernen psychologischen Romans im 20. Jahrhundert. Er erreicht hier mit seinem praktisch nur aus Selbstreflexionen bestehenden Text einen Sekundenstil, in dem die Erzählzeit größer als die erzählte Zeit ist. Die erste Fassung des Romans ist die radikalste. Hamsun, der im Laufe seines Lebens immer stärker eine reaktionäre, nationalchauvinistische Gesinnung vertrat, hat sein Werk in Selbstzensur bis 1934 immer wieder von als blasphemisch oder zu erotisch empfundenen Passagen bereinigt. Die Übersetzung, die jetzt von Ulrich Sonnenberg besorgt wurde, beruht auf der ersten Fassung von 1890.
Wunderbar übersetzt, mit einem Nachwort von Felicitas Hoppe
Wenn es eine Abteilung im Himmel für Übersetzer gibt - und das wurde schon gelegentlich vermutet - dann hat sich Ulrich Sonnenberg spätestens mit dieser Arbeit einen Logenplatz gesichert. Er hat den schwierigen, störrischen, an den Nerven zerrenden Text von Knut Hamsun ebenso rau und ruppig übersetzt, wie es, glaube ich, sein sollte. Übrigens spiegelt sich die Textanmutung auch in der vorzüglichen Buchgestaltung des Manesse Verlags wider. Es ist ein stumpfer, leicht körniger Umschlag in schwarz-grauen Tönen. Einen ungewöhnlichen Textzugang ermöglicht das Nachwort von Felicitas Hoppe, die unter anderem von Astrid Lindgren und ihrem Lektüreerlebnis mit "Hunger" berichtet. Lindgren selbst sagte einmal, sie sei jung und einsam gewesen, als sie das Buch von Hamsun las und ein intensives Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem jungen Hamsun empfand. Beim Lesen habe sie geradezu gewimmert vor Lachen und die Figur "Pippi Langstrumpf" wäre nie so entstanden ohne die tiefgreifende Lektüre von Hamsun.
Anonymer Ich-Erzähler am Rande des Wahnsinns
Aber das Lachen von Astrid Lindgren wird nicht jedem Leser geschenkt. Es ist ein schwieriger Text. So stur und stachelig wie der Ich-Erzähler, den sein bohrender, nagender Hunger nicht nur an Kienspänen lutschen lässt, sondern in einen Zustand psychosomatischer Debilität versetzt. Einmal wird er aufgegriffen und über Nacht in eine Zelle gesperrt:
Einfach so! (…) "Name?", fragt der Wachhabende. "Tangen - Andreas Tangen." Ich weiß nicht, warum ich log. Meine Gedanken flatterten mir durch den Kopf. Leseprobe
Und sie flattern auch in den Kopf der Leserschaft. Er ist ein typischer Selbstsaboteur, dieser anonyme Ich-Erzähler. Bei Gelegenheiten, die seine Rettung sein könnten, verweigert er sich aus Stolz, läuft aber in jede Falle von schwerer Demütigung. Er kommt an den äußersten Punkt der Existenzmöglichkeit, an den Rand des Todes und des Wahnsinns. Unterdessen versucht er wie besessen Artikel zu schreiben, um von dem ersehnten Honorar Essen kaufen und eine Unterkunft bezahlen zu können. Selbst die Knöpfe an seinem Rock versucht er zu versetzen.
Psychogramm eines modernen Antihelden
Die Geschichte hat offenbar stark autobiografische Züge. Hamsun konnte sich 1886 nur mühsam mit Artikelschreiben über Wasser halten, bis er nach Amerika abreiste. Die Rettung per Schiff ist es auch, die er seinem Hungerkünstler gönnt. Er heuert zum Schluss auf einer Bark Richtung England an.
Ich müsste ein schlechter Kerl sein, wenn ich nicht mehr täte, als nur das, was ich erledigen soll. Ich kann zwei Wachen hintereinander übernehmen, wenn Not am Mann ist. Das tut mir gut, ich halte das aus (…) Draußen am Fjord richtete ich mich, nass vor Fieber und Erschöpfung noch einmal auf, sah hinüber ans Land und verabschiedete mich für dieses Mal von der Stadt, von Kristinia, in der die Fenster aller Häuser so hell leuchteten. Leseprobe
So verschmilzt das Assoziationsvermögen des Helden zu einem ersehnten glücklichen Ende, an das man nicht so recht glauben mag, nachdem man eingetaucht war in das selbstzerstörerische Psychogramm dieses modernen Antihelden. Was man mit Bestimmtheit über ihn sagen kann, ist: Er ist eine der großen Figuren der Weltliteratur.
Hunger
- Seitenzahl:
- 252 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Nach der Erstausgabe von 1890 aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg Nachwort von Felicitas Hoppe
- Verlag:
- Manesse
- Bestellnummer:
- 978-3-7175-2560-8
- Preis:
- 25 €